Meer und große Steine

Schlagwort: Familie

Tagebuch: Morgen Kinder, wird´s was geben…

Heute war so ein Nachdenke-Tag. Weihnachten nähert sich mit Riesenschritten, es steht im wahrsten Sinne vor der Tür und die Woche ist viel zu schnell vergangen, wie immer. Vor ein paar Tagen haben wir einen neuen kleinen Menschen in unserer Familie willkommen geheißen. Und zack, da war sie, die Nachdenklichkeit. Was mir heute alles durch den Kopf geschwirrt ist!

Erstens habe ich daran gedacht, dass ich mir früher immer ausgemalt habe, wie meine Kinder und die meiner besten Freundin und Cousinen genau wie wir als Nachbarskinderbande die Gegend unsicher machen. Jetzt sind wir alle in anderen Städten und Ländern und es stellt sich die Frage, ob sie überhaupt jemals wirklich befreundet miteinander sein werden.

Die Babies sind heute wie immer so gegen acht aufgewacht, der Mann hatte noch Zeit, sie zu wickeln (juhu!) und ich konnte fünf Minuten weiter dösen. In den letzten Tagen ist Junibaby plötzlich nachts um vier aufgewacht und war eine Stunde wild am wippen, da half nichts außer aufstehen und im Arm herumtragen, bis sie einschlief. Wir sind also etwas müder als sonst und schieben es, wie alle unerklärlichen Nöligkeiten der Babies, auf das Zahnen. Naja, Zahnen oder Wachstumsschub, wobei sie so gesehen schon seit Monaten dauerzahnen und dauerschuben, das ist ja auch nicht realistisch, aber was soll´s, irgendwas wird´s schon sein.

Erstmal Kaffee und ein bißchen spielen, was im Moment bedeutet, die Babies aus womöglichen Gefahrenzonen wegtragen und Papierfetzen aus dem Mund holen. Dann gibt es Obst, welches unter mäßiger Begeisterung zermatscht und gegessen wird. Bei den kleinen Mengen fragt man sich ja schon, ob das auch wirklich reicht an Essen. Also google ich ein bißchen zu BLW und Beikost herum und bin wieder beruhigt. Solange ich weiterhin stille, scheint alles in Ordnung zu sein.

Nach einem kurzen Nickerchen gehen wir duschen, also ich, und die zwei staunen dazu. Für meine tägliche One-Man-Show sind die beiden sowieso ein sehr dankbares Publikum. Aber bloß nicht trödeln, sonst werden sie ungehalten! Ein abwechslungsreiches Programm wird gewünscht! Haare kämmen wird mit großen Augen beobachtet, außerdem gibt es heute “Das große Wäscheaufhängen” und “Fegen” im Programm.

Danach gibt es Mittagessen für alle und Siesta im Kinderwagen. Jacken anziehen ist blöd, aber sobald ich die Haustür aufmache, freuen sich beide und schlafen sogar bald ein. Wir drehen eine Runde am Strand. Bei Palmen und Meer kommt mir das letzte Fitzelchen Weihnachtstimmung abhanden, dabei ist in der Stadt fein dekoriert, aber es ist einfach nicht kalt und dunkel genug. Außerdem fehlen mir Poffertjes, Glühwein und gebrannte Mandeln. Eigentlich komisch, dass sich das mit der weißen Weihnacht so durchgesetzt hat, schließlich ist Bethlehem ja auch kein verschneites kleines Bergdorf. Die Krippen hier sind so gesehen viel realistischer, da reiten die heiligen drei Könige durch eine Art Wüste und Palmen gibt es auch.

Der Tag rast so vorbei, ich bin aufgeregt, weil wir noch packen müssen, die Geschenke sind natürlich noch nicht fertig gebastelt und morgen früh geht es schon zum Flughafen. Wie immer läuft kurz vor den Feiertagen das Handy heiß und ich verabschiede mich gedanklich von einer besinnlichen Weihnachtszeit. Es wird wie jedesmal der Versuch werden, alle lieben Menschen unter einen Hut zu bringen und am Ende hat man das Gefühl, für keinen so richtig Zeit gehabt zu haben. Oder man hat sich wirklich Zeit genommen und dafür nicht jeden getroffen, den man das Jahr über so vermisst hat. Man kennt das ja.

Dazu kommt noch der ganz normale Weihnachtskoller, den ich jedes Jahr bekomme. Wer und was sich da alles immer zusammenrauft und zusammenbraut ist filmreif. Muss das so? Ist das einfach der ganz normale Wahnsinn?

Die Babies schreien und nörgeln sich durch den Nachmittag, heute ist es wirklich ein Zahn, da ist was spitziges zu ertasten. Die andere heult empathischerweise gleich mit, beide sind anhänglich und wollen auf den Arm, also verbringe ich wertvolle Koffer-Pack-Stunden kinderliedersingend auf dem Boden sitzend.

Schwägerin und Schwager kommen noch zum Verabschieden vorbei, der Mann ist das erste Mal über Weihnachten mit in Deutschland, was mich sehr freut – aber auch sehr nervös macht. Ich hoffe, er fühlt sich wohl. An den eigenen Familienwahnsinn ist man ja gewöhnt, aber so ein Schwiegerfamilienwahnsinn in einem anderen Land ist eine ganz andere Nummer (ich spreche da aus Erfahrung). Zwischendurch frage ich mich, ob die Option “einsame Berghütte zu viert” noch umzusetzen ist, dann denke ich: Augen zu und durch. Wie jedes Jahr wird es schon werden, das Essen wird schmecken, der Baum fachgerecht aufgebaut, geschmückt und beleuchtet sein und die Weihnachtslieder lassen sich wunderbar schief singen.

Und dann schlafen die Babies endlich, wir essen Tiefkühlpizza und packen zu viel Zeugs ein und tja, irgendwie musste ich diesen Tag noch loswerden. Jetzt aber ins Bett, morgen früh um sechs geht es los und Fliegen mit zwei siebenmonatigen Babies ist eine weitere Herausforderung. Also, gute Nacht und Frohes Fest!

Die erste Woche mit Zwillingen – ein Rückblick

Als die Zwillinge gerade geboren waren, und alles neu, schlaflos und aufregend war, hat es uns jeder gesagt: Die Zeit vergeht so schnell, genießt es! Wir haben es genossen und genießen es noch immer, aber ich muss sagen: Die ersten zwei Monate waren verdammt anstrengend. Wir mussten uns aneinander gewöhnen und versuchen, den Alltag zu meistern.

Irgendwann um den dritten Monat herum wurde es auf einmal leichter: Mehr Schlaf, mehr Routine, mehr Gespür füreinander. Jetzt sind die Zwillinge längst keine winzigen Säuglinge mehr, sondern richtige Babies. Und ja, die Zeit ist so! schnell vergangen! Wie immer, wenn die Babies einen kleinen Geburtstag haben, erinnere ich mich an die erste Woche zu viert…

“La Bessonada”

Auf die schwierige Geburt folgten anstrengende Wochen. Davon war die erste sicher die schwierigste. Zwei Tage lag ich auf der Intensivstation und konnte meine Babies nur auf den Fotos sehen, die der Mann mir zeigte. Die ersten zwei Tage in ihrem Leben habe ich verpasst. Es gab keinen kuscheligen Stillbeginn mit Haut-an-Haut-Kontakt, sondern Fläschchen für sie und Milchpumpe für mich. Der Mann pendelte zwischen mir und den Babies hin und her und hielt meine Familie und die beste Freundin in Deutschland auf dem Laufenden. Erst nach 36 Stunden, als er wusste, dass ich außer Gefahr war, konnte er etwas schlafen.

Aber die Babies mussten ja auch versorgt werden! Alle drei Stunden kamen die Kinderkrankenschwestern und brachten die Fläschchen. Die Großeltern und Tanten kamen, um zu helfen. Währenddessen wartete ich darauf, endlich meine Mädchen in die Arme zu schließen.

Bekannt als “La Bessonada” waren wir fester Bestandteil des Krankenhaustratsches (das katalanische Wort für Zwillinge ist bessons, also könnte man den Begriff grob mit “die Zwillingerei” übersetzen). So eine dramatische Geburt, die Mutter immer noch auf der Intensiv und die zwei Neugeborenen mit dem Vater auf der Kinderstation, das spricht sich herum.

Alle nahmen Anteil, von der Putzfrau bis zum Oberarzt. Die Kinderkrankenschwester kam zu mir, um nach der “Mami von den zwei Schönen” zu schauen und zu sagen, dass es ihnen gut geht und sie auf mich warten. Die Hebamme, welche mich bei der Geburt begleitet hatte, schickte eine Freundin vorbei, die gerade Dienst hatte (sie selbst kam bei ihrem nächsten Dienst natürlich auch). Die Ärztin, die den Kaiserschnitt gemacht hatte und der Arzt, der mich durch die letzten Wochen der Schwangerschaft betreut hatte, kamen natürlich. Alle waren sehr herzlich und liebevoll und machten uns Mut.

Eine schrecklich schöne Woche

“Ein Mann hätte das nicht geschafft. Aber diese frischgebackenen Mütter haben etwas in sich…” sagt der Arzt, als er mich endlich von der Intensivstation entlässt. Ob es wirklich geholfen hat, dass ich meine Babies noch einmal kurz sehen konnte, bevor die Narkose wirkte? Am Nachmittag des zweiten Tages darf ich jedenfalls endlich zu ihnen. Ein Pfleger schiebt mich im kollernden Bett durch die Flure zum Aufzug. Ich bin aufgeregt und nervös. Als wir ins Zimmer kommen, wartet mein Mann auf mich. Die Babies werden gerade gewogen und gebadet. Im ersten Moment bin ich etwas enttäuscht und unruhig, dann hören wir schon Geschrei und die klappernden Bettchen im Flur.

Kamen beide gleichzeitig herein oder nacheinander? Ich weiß nur noch, daß ich ziemlich schnell beide an der Brust hatte und meine kleine Erstgeborene seit dem Moment nicht mehr von meiner Seite wich. Die erste Nacht mit den beiden habe ich fast nicht geschlafen, so aufgeregt war ich. Ständig musste ich diese kleinen Wunderwesen betrachten und bestaunen.

Die weiteren Tage im Krankenhaus waren irgendwie schrecklich, absurd und wunderschön. Schrecklich, weil ich überall Schläuche hatte, die Narbe schmerzte und ich mich kaum bewegen konnte. Ständig musste mir jemand die Babies anreichen und mir helfen, mich in Stillposition zu bringen. Mich schmerzte, dass ich nicht die Kraft hatte, die beiden selber zu wickeln, auch wenn das Papa, die Krankenschwester oder die Tante super erledigt haben.

Eigentlich wollte ich nur mit den beiden alleine sein, stattdessen gab es im Krankenhaus-Alltag kaum Ruhepausen. Alle drei Stunden Fläschchen, dazwischen Visite für mich, für die Babies, Frühstück, Babies wiegen und baden, waschen und Medikamente für mich, netter (und weniger netter) Besuch, Mittagessen, wickeln…so ging es Tag und Nacht weiter. Dazu schwitzte ich vor mich hin, die Sonne knallte ins Zimmer und man konnte die Fenster nicht öffnen. Also alles andere als schön.

Absurd, weil einige Situationen so doof waren, dass wir nur noch ungläubig lachen konnten. Es gab sehr nette Kinderkrankenschwestern (meistens die jungen) und die abgebrühten Nachtschwestern alter Schule mit ruppigem Griff und strengem Gesicht. Mit letzteren stritten wir uns, wenn die Babies ihre Fläschchen nicht ausgetrunken hatten – obwohl ich ja bereits stillte. Die andere Mutter, die für zwei Stunden das Zimmer mit uns teilte: Drei Neugeborene und zwei Elternpaare in einem Raum, dazu mein desolater Zustand und Besuchszeit. Grauenhaft! Am Nachbarbett eine frischgebackene Oma und eine von der Geburt erschöpfte Mama, während ich noch nichtmal alleine auf Toilette gehen kann. Stichwort Bettpfanne. Mehr muss man nicht sagen. Sämtliches Pflegepersonal hat sich bei uns (und sicher auch bei ihr) entschuldigt, als sie später auf ein freies Zimmer verlegt wurde. Das war definitiv der Tiefpunkt. Es war so dermaßen blöd alles, dass wir irgendwann nur noch darüber lachen konnten.

Wunderschön. Da waren meine Babies, der Mann und ich, alle vier. Gesund und froh, zusammen zu sein. Trotz des ganzen Trubels um uns herum hatten wir ab und zu Momente, in denen die Zeit kurz still stand. Ein leises Gespräch mit den schlafenden Babies auf dem Arm. Die Stunde am frühen Morgen, bevor der Tag losging. Der Mann, der jede Nacht auf dem unbequemen Krankenhaussessel neben mir schlief. Das hat uns durch die ganze Woche getragen und begleitet mich noch heute.

Home sweet Home

Und dann, ganz plötzlich wurde ich entlassen, wirklich, von einem Tag auf den anderen. Erst einen Tag vorher hatte ich das erste Mal wieder geduscht und ein paar Schritte gemacht. Und dann hieß es: Wenn du bereit bist, könnt ihr nach Hause. Nichts wollte ich lieber. Endlich raus aus dem Krankenhausbett mit der Plastikmatratze, dem muffigem Zimmer und bloß weg von den Nachtschwestern mit ihren Alle-drei-Stunden-Fläschchen. Trotzdem ergriff uns Panik: Hatten wir alles zu Hause, was wir brauchten?

Während meine Schwägerin mir half, unsere Sachen zu packen, raste der Mann in die Stadt um den Windelvorrat aufzustocken und unsere Ankunft vorzubereiten. Den Weg zum Auto und nach Hause schaffte ich nur mithilfe von drei zuckerigen Limonaden und vielen Pausen, so wackelig war ich auf den Beinen. Im Nachhinein betrachtet klingt es etwas irre, aber in dem Moment wollten wir so schnell es geht heim. Dort erwartete uns das Chaos. Eine Woche vorher waren wir stürmisch Richtung Krankenhaus aufgebrochen und hatten alles stehen und liegen lassen. Dazwischen war der Mann nur zum Duschen und Babysachen holen hergekommen.

Tja, da saßen wir nun, zwischen Windelpaketen und Krankenhaustasche, mit den beiden winzigen Babies im Arm. Und atmeten auf.

Kinder, Kinder!

Ohne allzusehr verallgemeinern zu wollen: Die Menschen hier sind sehr kinderfreundlich. Schon in der Schwangerschaft gab es allerorts Anteilnahme, jetzt sind die Babies da und wir kommen uns manchmal vor wie eine Jahrmarktsattraktion. Es braucht keinen Mäusezirkus oder Schellenäffchen, es reicht der Doppelkinderwagen!

Das kam nicht überraschend, davon haben schon mehrere Zwillingseltern berichtet. Und ich denke, dass auch in Deutschland der Gesprächsbedarf netter älterer Damen beim Anblick eines Zwillingskinderwagens deutlich steigt.

Mittlerweile habe ich schon trilliardenmal das gleiche Gespräch geführt (“Oh, Zwillinge! – Ja – Eineiig oder zweieiig? – Zweieiig – Die sehen sich aber nicht ähnlich – Nein – Ach und sie hier ist viel größer! – Ja, die wiegt fast ein Kilo mehr – Das ist aber viel Arbeit, ne? – Jepp – Aber schön! – Jaa – Alles Gute – Danke”) und freue mich trotzdem noch über die Aufmerksamkeit, die meinen Babies hier geschenkt wird.

In einem halben Jahr habe ich noch keinen Laden betreten, in dem nicht ein Augenzwinkern oder ein Späßchen für die beiden drin war. Es gibt Bauchgrabbler, Wangenkneifer und Tragetuch-Zurechtzupfer. Es gibt Teenagerjungs, die die beiden zum Lachen bringen und Verkäuferinnen, die hinter der Ladentheke hervorkommen. Es gibt Glückwünsche von anderen Zwillingseltern, Beileid von Einlingseltern und Segenssprüche von Großeltern. Von überallher hört man ein “Qué guapas!” und fröhliches Hallo.

Als wir eine Woche zu Besuch in Deutschland waren, wurden die beiden genau dreimal angelacht. Zweimal von älteren Damen und einmal von drei deutschtürkischen (kann man das politisch korrekt so sagen?) Jugendlichen. Dabei lachen meine kontaktfreudigen Babies gerne mal zuerst…In Spanien dagegen empfinde ich, dass Kinder und auch alte Menschen viel mehr Teil der Gesellschaft sind. Sie stören nicht und sie werden auch nicht ignoriert. Sie gehören einfach dazu.

Alte treffen sich nachmittags auf “ihrer” Bank in der Innenstadt, an ihrem Platz oder zum Petanca (=Boule) spielen. Außerdem werden die Großeltern viel mehr in den Familienalltag eingebunden: Opas und Omas holen ihre Enkelkinder von der Schule ab. Auf meinen Spaziergängen sehe ich stolze kinderwagenschiebende Großeltern. Es ist in vielen Familien selbstverständlich, dass beide Eltern arbeiten und abends die frisch gebadeten und satten Kinder von Oma und Opa in Empfang nehmen.

Elternzeitneid

Und da sind wir auch schon bei der anderen Seite der Medaille: Die Elternzeit beträgt nur vier Monate und die meisten Familien können sich überhaupt nicht leisten, dass nur einer arbeiten geht. Nach vier Monaten wird also abgestillt (falls überhaupt gestillt wurde) und das Baby schweren Herzens an die Omi übergeben. Wer länger Stillen möchte, muss abpumpen. Auch wenn Anfangs einige Tränen fließen, bestätigen mir fast alle Mütter: Es hat durchaus etwas für sich, ein paar eigene Stunden am Tag zu haben, und sei es auch “nur” am Arbeitsplatz. Für mich klingt das zwar plausibel, aber ich bin heilfroh, dass wir uns ein volles Babyjahr leisten können.

Mit Ablauf der vier Monate Mutterschutz (bei Zwillingen viereinhalb, also zwei Wochen mehr) gibt es kein Elterngeld mehr. Die monatlichen 100 Euro Kindergeld werden bis zum dritten Lebensjahr ausgezahlt. Für Zwillingseltern gibt es außerdem noch eine einmalige Zahlung von etwa 2000 Euro zur Unterstützung. Da schaue ich in Sinnkrisen schonmal neidisch auf meine Mädels in Deutschland mit ihrer Elternzeit und den tollen Reisen mit Mann und Baby nach Neuseeland oder sonstwohin und denke: Hätte hätte, Fahradkette…das haste jetzt davon!

Ein Jahr Auszeit ist hier ein Luxus, der bei manchen auf Unverständnis stösst. Allen voran bei der spanischen Yaya (= Omi), die ganz scharf auf “ihre Mädels” ist und mir gerne beiläufig erzählt, der Enkel ihrer Schwester hätte ja schon mit vier Monaten bei Oma übernachtet und die Mama geht schon wieder arbeiten und überhaupt, dem Baby geht es ja soo gut bei Omi…ähnlich subtil antworte ich dann, dass ich das ja nicht könnte – bei dem Thema stoßen immer wieder unsere Kulturen und Mentalitäten aufeinander.

Ein Glück wurden dieses Jahr in Spanien vier Wochen Vaterzeit eingeführt (bis letztes Jahr waren es nur zwei). Die gingen zwar wie im Flug vorbei, aber immerhin. Kein Wunder, dass die Geburtenrate in Spanien so niedrig ist. Ohne eine funktionierende Familienstruktur im Hintergrund oder als Geringverdiener ist Kinderhaben hier eine schwierige Sache. Schon komisch, dass man hier trotzdem oft den Eindruck hat, hier wimmelt es überall von Kindern.

Das liegt sicher auch am guten Wetter, das Leben findet einfach viel mehr auf der Straße statt. Aber bestimmt auch daran, dass Kinder eben keine Störenfriede sind. Wenn um fünf Schule aus ist, sieht man die Eltern auf einer Terrasse Kaffee trinken während nebendran so ein Wirrwarr aus Rollern, rennenden Kindern und fliegenden Bällen herrscht, dass ich mich manchmal kaum mit dem Kinderwagen über den Platz traue. Niemand weist die laut rufenden Kinder zurecht, sondern alle laufen kreuz und quer einfach drumherum. So ist das hier. Und so komme ich auch jeden Tag ein bißchen mehr hier an, seit meine Mädels da sind. Weil sie so wunderbar auf dieser Welt willkommen geheißen werden.

Mein Senf: Mein Baby, dein Baby

Bisher dachte ich irgendwie, dass fast alle Eltern mit ihren Babies in etwa so umgehen wie ich (ähem) und wie ich es von meinen Freunden und Familie kenne: Wenn ein Baby schreit, schaut man was es hat (Hunger? Pipikaka? Müde? Auf den Arm? Langeweile?) und dann macht man halt eben dieses oder jenes, Baby hört auf zu schreien und gut is. Unsere Babies schlafen bei uns im Bett, werden gestillt, viel getragen und ja, das war es eigentlich auch schon.

Dann las ich den ein oder anderen Blog und lernte, dass das einen Namen hat und eine Art Philosophie dahinter steckt. Attachment Parenting. Na gut, gebt dem Ding einen Namen. Und da steckt sicher noch viel mehr hinter, als ich hier so flapsig ausgedrückt habe. Lasst uns darüber diskutieren, meinetwegen. Trotzdem hat sich mir die Diskussion nicht erschlossen: Warum sind da alle dafür, dagegen, wer macht es richtig, wer falsch? Ahnungslos, wie ich war, dachte ich, naja, NATÜRLICH gehe ich auf die Bedürfnisse meiner Babies ein und versuche sie zu erkennen. Das ergibt sich ja irgendwie von selbst. Machen doch auf die ein oder andere Weise alle so. Warum wird da so viel diskutiert?

Bis letzten Sonntag, auf einem Familienfest. Ich hoffe immer noch, dass die andere Mutter, die mit ihrem drei Monate altem Baby dort war, einen schlechten Tag hatte oder besonders cool rüberkommen wollte. Vielleicht war sie auch einfach zu schüchtern, um etwas zu sagen. Aber, was soll ich sagen, ich habe NOCH NIE eine Mama mit so wenig Draht zu ihrem Kind gesehen. Es tat mir im Herzen weh, dieses kleine Wesen zu sehen, dass so offensichtlich nach Nähe und Schutz suchte und stattdessen von einem Arm zum nächsten wanderte. Dazu wurde noch kommentiert: “Also, die beruhigt sich ja wirklich nur auf Papas Arm, haha!” Haha? Das arme Kind schrie fast das ganze Essen durch.

Dazwischen gab es Spaziergänge im Kinderwagen (damit sie einschläft) und Fläschchen. Ja, und wer gibt das Fläschchen? Die Großtante, die das Baby noch nie gesehen hatte. Statt zu trinken, schrie die Kleine weiter und wurde immer nervöser, während Tantchen versuchte, ihm den Nuckel in den Mund zu stopfen. Die Mutter saß ein paar Stühle weiter und sagte nichts, stattdessen griffen der Mann und ich irgendwann an ein und meinten, “wenn ein Baby so weint, kommt es am besten zur Mama, oder?”.

Also kommt das Kind zu seiner Mama. Diese versucht ein paar Minuten weiter, dem schreienden Baby die Flasche zu geben, es lässt sich aber nicht beruhigen. Das Kind wird an den Vater gereicht, es trinkt wieder nicht, von dort geht es zum Opa, da trinkt es auch nicht… “Die hat ja gar keinen Hunger!” lautet die Diagnose am Tisch. Das Baby schreit weiter und ich fragte mich langsam, wie lange das Gehampel noch weitergehen soll.

Zum Glück kam an dieser Stelle die Oma ins Spiel, die sich das Baby griff und eine Weile im Arm trug, bis es sich beruhigte. Als sie ihm dann das Fläschchen nochmal anbot, trank die Kleine die ganze Flasche aus – oh Wunder! und schlief dann auf Omas Arm ein (die leere Flasche wurde dann von Oma triumphierend herumgezeigt, aber das ist eine andere Geschichte). “Also hatte sie doch Hunger” staunten alle.

An dieser Stelle dachte ich: Ok, DARUM gibt es diese ganzen Diskussionen. Es gibt immer noch Mütter, die nicht wissen, auf ihr Baby einzugehen. Die es vielleicht nicht anders kennen. Die sich von den Kommentaren älterer Damen verunsichern lassen: “Wenn du sie jedes Mal hochnimmst, weil sie schreit, gewöhnt sie sich noch daran!” “Oh, pass auf, nachher schläft sie nie alleine ein!” “Was, die schlafen nicht in ihrem eigenen Bett?” “Ts, ts, immer auf Mamis Arm…”. To be continued.

Es gibt immer noch Menschen, die ein schreiendes Kind wie eine Puppe hin- und herreichen, anstatt es der Mutter zurückzugeben. Ab und zu finde ich selber eines meiner Babies in den Armen einer wildfremden Person wieder und frage mich, wie es dahin gekommen ist. Es gibt Situationen, in denen eine Mutter (inkusive mir) sich vielleicht nicht traut, zu sagen: “Gib mir mein Kind bitte wieder”. Da wird man ja auch gleich schief angesehen und als Glucke abgestempelt.

In Spanien werden Babies und Kinder viel mehr hochgenommen und angefasst als in Deutschland, daran habe ich mich schon gewöhnt. Die Spanier sind ein soziales und kinderliebes Völkchen und meistens finde ich es auch schön, dass Kindern hier so viel Interesse entgegengebracht wird. Der Tenor lautet: daran müssen sich die Kleinen eben gewöhnen, hier ist das eben so! Aber wenn ich sehe, dass eines meiner Babies sich unwohl fühlt oder weint, dann bin ich in Nullkommanix da und schaue, was los ist. Vielleicht hat das auch garnix mit Spanien zu tun und man kann solche Szenen in Deutschland genau so beobachten?

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