Eigentlich fehlen mir die Worte und dann sprudelt es aus mir heraus, sobald jemand fragt, wie es uns geht. So viel ist passiert. Die Ausgangssperre. Sechs Wochen in der kleinen Wohnung mit den dreijährigen Zwillingen. Das abendliche Klatschen. Der Blick auf das Altenheim gegenüber und die Pflegerinnen, die uns Mut zuriefen. Der Geburtstag von meinem Freund, der Kindergeburtstag mitten in der Ausgangssperre. Das bedrückende Gefühl, als ich das erste Mal wieder draußen war, in einer neuen Welt voller Masken, mit Schlangen vor den Geschäften und Menschen mit Angst in den Augen. Und trotz allem auch lustige Momente, dank der Kinder, für die Kinder. Und trotz allem schöne Momente, surreal und hoffnungsvoll. Als alles stillstand und auf den Straßen kein Auto fuhr. Wie die Flugzeuge ausblieben. Eine Pause von allem. Delfine vor der Küste, Wildschweine in den Straßen und Vogelgezwitscher.

Und irgendwann hing uns der Blick auf die Häuser ringsherum zum Halse heraus und die Elster in der Pinie hatte ihr Nest verlassen. Das Klatschen wurde jeden Abend weniger und hörte irgendwann auf, am letzten Tag sollten alle noch einmal kommen, ein Abschlussklatschen sozusagen, aber die Motivation war dahin.

Die Kinder. Jede Woche haben wir das Kinderzimmer umgeräumt, wir haben alle Mehl- und Matsch-Ideen durchprobiert, wir haben getanzt und zuviel ferngesehen, auf unserem kleinen Balkon den Boden bemalt und den Großeltern zugewunken und Schokoladenkuchen gebacken zum Geburtstag. Ein paar Mal haben wir uns ein leckeres Essen vom Thailänder bestellt. Es kamen Pakete zum Geburtstag mit bunten kleinen Sachen und Badespaß, ein fröhlicher Gruß aus einer anderen Welt.

Die Erzieherinnen aus dem Kindergarten schicken Videos mit Geschichten und Liedern und in der Eltern-Whatsapp-Gruppe schickten die Kinder kleine Videobotschaften. Alles war so plötzlich vorbei, dass die Kinder sich garnicht mehr von ihren Freunden verabschieden konnten. Petita erklärte, sie würde alle Kinder umarmen und küssen, wenn sie sie wiedersähe. Und ein großes Fest machen und alle alle einladen. Was für ein Glück, das die zwei sich noch hatten. Endlich mal ein wahrer Vorteil für Zwillinge.

An manchen Abenden bin ich nochmal aufgestanden und habe mich mit meinen Freundinnen zusammengerufen. Wir haben geredet bis spät nachts, bitter gelacht und Wein dazu getrunken.

Dazwischen versucht zu arbeiten, sich irgendwie zu konzentrieren und ein Stück Alltag zu haben. Mit den Kollegen in Deutschland zu sprechen, für die alles so anders war und die ich um die geöffneten Spielplätze beneidet habe, um die Spaziergänge und die Zwei-Personen-Regel. Zoom wird ein Fenster in eine andere Welt, so anders erleben meine Familie und Freunde und Kollegen das alles. “Wieso ist es hier so schlimm und in Deutschland nicht?” rätseln wir in Spanien. Und wir finden tausend mögliche Gründe. “Wir sprechen lauter!” “Wir leben mehr in den Familienverbänden”. Ich sehe vor allem ein politisches Versagen, eine zu langsame Reaktion – fast schon negieren – von dem, was da auf uns zukam.

Und in unserer kleinen Stadt wurde das Hotel umgenutzt zur Krankenstation, die Intensivstation vergrößert. Und wir warteten darauf, dass die Kinder endlich raus dürften.

Ein paar Monate später, als wir schon wieder durch die Innenstadt spazieren konnten, trafen wir eine Freundin, eine Lehrerin, die erzählte, wie sie geweint hat darüber. Die Kinder zwei Monate einzusperren. Und dann das Lästern, als sie endlich wieder rausdurften: “Guckt mal, wie schlecht die das machen!, die halten ja gar keinen Abstand…”

Was für ein trauriger Anblick das war mit den leeren Straßen ohne Kinder. Als wir den ersten Tag draußen waren, stand ein kleines Mädchen am Balkon und rief: “Papa, Papa, da sind noch mehr Kinder!” Als hätte sie vergessen, dass sie nicht das einzige Kind auf der Welt war.

Und die Alten. Im Altenheim uns gegenüber eingesperrt, für Monate. Der Alarmzustand war schon längst vorbei und noch immer durften sie nicht raus und niemand durfte rein. Meine Schwiegeroma lag dort drin. Irgendwann durften wir uns vor die Tür stellen, zum winken. Der Sohn und die Tochter konnten erst zu ihr, als sie im Sterben lag, um sich zu verabschieden. Immerhin das, aber ach…so behandelt ein Land seine Alten und Kinder?

Und dann wurde unser Haus einzugsfertig und wir konnten endlich die kleine Wohnung verlassen. Was für ein schöner Moment, um umzuziehen und sich neu einzurichten. Wir hatten so Sorge, dass wir es nicht bis zur nächsten Ausgangssperre schaffen und hatten noch genug vom Sommer übrig, um es uns auf der Terrasse schön zu machen und den Strand zu genießen.

Bis hierhin.