Meer und große Steine

Mein Wochenbett in Spanien

Ungeachtet der schwierigen Geburt und meines Ruhebedürfnisses hatten wir in den ersten Wochen immer wieder Besucher bei uns. Auch wenn mein Schamgefühl schon im Krankenhaus weit unter meine eigentliche Schmerzgrenze gerutscht war, so richtig gelegen kam mir der Besuch fast nie. Irgendwie hatte ich mir das Wochenbett so gemütlich vorgestellt, man wird umsorgt und behütet, aber weitestgehend mit seinen Babies in Ruhe gelassen. Ich hatte ein heimeliges Bild im Kopf, wo alle um einen herumhuschen und man ansonsten ausgiebig mit seinen Babies kuschelt und vor allem viel schläft.

Als soziales Völkchen, dass die Spanier nunmal sind, scheinen diese eine vollkommen andere Idee davon zu haben. Zur engeren Verwandtschaft zählen hier jedenfalls nicht nur direkte Onkel und Tanten, sondern auch Cousins zweiten oder dritten Grades oder gute Freunde meiner Schwiegereltern. Alle fühlen sich verpflichtet, vorbeizukommen. Sogar die Eltern, die Schwester und der Cousin meines angeheirateten Schwagers kamen vorbei, um die Babies zu bestaunen.

Manchmal habe ich versucht, im Kopf den Verwandtschaftsgrad auf meine deutsche Familie zu übersetzen und festgestellt, dass ich niemanden davon kenne – geschweige denn, dass diejenigen sich verpflichtet fühlen würden, vorbeizukommen und dazu noch ein Geschenk dazulassen. Die Tochter des Cousins meines Vaters? Kenne ich nicht. Von meiner Schwester deren Freund dessen Eltern? Die kämen sicher nicht spontan vorbei.

Manchmal kam es mir absurd vor, hier ist es anscheinend vollkommen normal. Zumindest bei meiner andalusisch-aragonesisch-katalanischen Schwiegerfamilie. Man verfällt ja schnell dazu, zu verallgemeinern: Sind die alle hier so, oder ist das eine spezifische Eigenart meiner spanischen Anverwandten? Vom Hörensagen weiß ich, dass nicht alle Familien hier so …familiär? sind. Andererseits sehe ich bei unseren Freunden und Bekannten viel mehr Kontakt innerhalb der Familien, als es bei uns in Deutschland (oder ist das auch wieder nur in meiner Familie so?) üblich ist.

Jedenfalls kamen diese und jene Menschen bei uns vorbei und schenkten und schauten. Für mich war es anstrengend, aber ich will auch nicht undankbar sein. Schließlich ist es ja auch schön, dass so viel Anteil genommen wird und die Geschenke wurden vorher oft mit uns abgesprochen. Oder wir bekamen direkt Geld geschenkt. Alles, was wir bekommen haben, konnten wir gebrauchen und benutzen, das war schön.

Das sind wohl die zwei Seiten der Medaille – einerseits denke ich oft, in Deutschland geht uns einiges verloren damit, dass Familie häufig nur bedeutet: Vater-Mutter-Kind, dazu vielleicht noch Großeltern und Tanten. Andererseits war ich auf den Besucherandrang doch nicht gefasst. Dabei hatte ich schon in der Schwangerschaft eine Vorahnung und trichterte dem Mann ein: Wenn jemand vorbeikommen will und das in dem Moment nicht möchte, musst du hart sein und absagen.

An Tag eins nach Entlassung aus dem Krankenhaus besuchten uns (gleichzeitig):
zwei Omas,
ein Opa,
eine Tante,
ein Onkel,
eine Großtante,
eine Uroma,
und eine Urgroßtante der Babies.

Danach war ich so platt, dass der Mann die liebe Freundin, die kurz reinkommen wollte, wegschicken musste, weil ich sonst in Tränen ausgebrochen wäre. Dabei hätte ich gerade sie gerne gesehen. Nur halt nicht direkt nachdem acht Menschen bei uns waren, die alle gleichzeitig redeten und lachten und mir beim Stillen zuguckten.

Von Freunden in Deutschland habe ich gehört, dass der ein oder andere beleidigt war, weil er nicht eingelassen wurde oder die einfache Bitte um Ruhe auf Unverständnis stieß. Mir scheint es manchmal, als wäre die Mutter plötzlich nebensächlich, sobald sie ein Kind im Bauch hat, und erst recht wenn das oder die Kinder da sind. Dabei weiß niemand, wie die letzten Wochen der Schwangerschaft waren, wie die Geburt war (in meinem Fall waren allerdings alle bestens unterrichtet) und ich wünschte, es würde einfach akzeptiert, dass man gerade am Anfang vielleicht einfach ein bißchen unter sich sein möchte und sich als Familie beschnuppern will.

Nach ein paar Wochen war der Spuk vorbei. Es wurde Sommer und die erste Hitzewelle trieb uns abends aus dem Haus. Endlich konnte ich mich wieder halbwegs schmerzfrei bewegen. Unser Ausflugsradius blieb anfangs recht klein; einerseits waren wir noch blutige Anfänger als Zwillingseltern und trauten uns nicht weit weg, andererseits gab es da dieses nette kleine Café um die Ecke. Dort gab es das stadtbeste Eis, Pizzastücke und Horchata – alles was ich als stillende Zwillingsmama begehrte. Einen Großteil des Sommers verbrachten wir so, bis im August die Bürgersteige hochgeklappt wurden und alle Welt in Urlaub fuhr. Doch das ist eine andere Geschichte.

Essen essen

Es gibt Tage, da fehlen mir die Deutschtürken im Straßenbild, überhaupt der ganze Mulitkulti-Mischmasch, und dazu gehören sinnbildlich ein wirklich leckerer Döner, Spaghetti-Eis und Baklava. Liebe geht durch den Magen, sagt man. Und ich bin mir sicher: Gemeinsames Essen trägt zur Völkerverständigung bei!

Hier wird hauptsächlich spanisch-katalanisch gegessen, es gibt trotz der vielen arabischen, afrikanischen, chinesischen oder indisch/pakistanischen Einwanderer wenig Restaurants oder Imbisse mit deren Landesküche. In Barcelona selbst ist die Essensvielfalt natürlich größer, aber außerhalb gibt es wenig “ausländische” Restaurants.

Während in Deutschland fast jeder einen “Lieblings-Italiener” hat, bleibt es hier traditionell. Das war für mich als Neuankömmling erstmal in Ordnung so, es gab genug Neues zu entdecken. Mittlerweile freue ich mich über den ein oder anderen kulinarischen Abstecher.

Das kommt euch spanisch vor

Wenn wir Besuch bekommen, möchten natürlich alle gerne “spanisch” essen, was für viele gleichbedeutend mit Tapas und Paella ist. Meistens gehen wir also Tapas essen, weil Paella mit den Meeresfrüchten dann doch nicht jedem schmeckt.

Also Tapas essen. Dazu geht man am besten nicht ins Restaurant, sondern in eine Tapas-Bar, wo sie zum Bier gereicht werden. Man zieht von Bar zu Bar und isst die Tapas dort im Stehen direkt an der Theke. So richtig schön kann man das vor allem in Andalusien oder im Baskenland machen. Beide Regionen sind bekannt dafür und ich konnte mich in Sevilla und San Sebastián/Donostia selbst davon überzeugen.

Bei uns im Ort gibt es natürlich auch Tapas-Bars und Restaurants. Die Auswahl ist groß, unsere deutschen Besucher essen jedoch am liebsten Patatas Bravas und Pimientos de Padrón. Das wird als Gastgeber auf Dauer etwas langweilig, aber ich muss zugeben: Am Anfang habe ich mich auch fast ausschließlich davon ernährt.

Wir gehen mittlerweile ziemlich selten Tapas essen, fast nur noch mit Besuch. Ein paar Bravas sind aber immer drin und werden oft für alle gemeinsam zu einem frühabendlichen Bier bestellt. Wenn der Abend nett ist und keiner Lust hat, nach Hause zu gehen, wird daraus auch mal ein Abendessen mit noch mehr Tapas, bis alle satt sind.

Zur Paella sei so viel gesagt: Ich bin kein großer Fan von Meeresfrüchten und die sind da nun mal drin. Im Restaurant kann man sie oft erst ab zwei Personen bestellen, deswegen erbarme ich mich ab und zu meinem Mann zuliebe. Wie sich das für einen Spanier gehört, ist Paella sein Lieblingsessen. Ein paar Klischees müssen ja auch erfüllt werden 🙂

Bei uns schmeckt´s am besten!

Besonders am Anfang wurde ich oft gefragt, wie ich denn das Essen hier finde und ob es mir schmeckt. Meistens schon mit einem freudig-erwartungsvollen Unterton, weil, hier ist das Essen einfach am besten! Aus Höflichkeit hatte ich mir schon zu Beginn ein entsprechend überzeugendes “Ja, super!” angewöhnt, dass leider im Verlauf eines längeren Gespräches an Glaubwürdigkeit verlor, denn: Ich mag keine Meeresfrüchte. Und Fisch auch nicht so gerne. Na gut, ich esse beides, wenn ich muss. Aber ich würde es mir nie bestellen. Da ein Großteil des Essens hier aus Fisch und Meeresfrüchten besteht, ging meinem Gegenüber dann immer irgendwann auf, dass ich seine Begeisterung für die heimische Küche nicht unbedingt teile.

Verhungert bin ich hier trotzdem nicht, erstens habe ich etwas an meiner Abneigung gegen allerlei Meergetier gearbeitet und zweitens gibt es auch so noch genug Leckereien. Vieles kannte ich nicht, bevor ich hierher gezogen bin oder habe es erst hier lieben gelernt (siehe Paella, obwohl ich da vom Lieben noch weit entfernt bin). Einige Gerichte sind dagegen garnicht so anders als “zu Hause”: Der Linseneintopf wird mit zwar mit Chorizo statt mit Mettwurst gemacht, aber hey, irgendwie ist es doch das gleiche.

Was ich an deutschem Essen vermisse? Im Frühjahr fehlt mir die Spargelzeit, weißen Spargel bekommt hier fast nur eingemacht im Glas. Im Sommer sind es Pellkartoffeln mit Kräuterquark – in den hiesigen Supermärkten ist Quark äußerst selten aufzutreiben. Außerdem sind Brombeeren hier Mangelware und genauso teuer wie ein Schälchen Himbeeren. Herbst und Winter überstehe ich dagegen gut, was sicher am weihnachtlichen Deutschlandbesuch liegt, da gibt es ja sowieso immer von allem zu viel. Viele Kleinigkeiten bringen mir außerdem Besucher mit, zugegebenermaßen ist das meistens Lakritze.

In dem Sinne: ¡Que approveche! und Bon Profit!

Und, wie ist es so mit Zwillingen?

Wenn ich das letzte Jahr Revue passieren lasse, fällt mir auf: Das hört sich  unglaublich anstrengend an! Und ja, das war es auch. Vor allem aber ist es ein ganz besonderes Geschenk, zwei Menschen beim Wachsen zusehen zu dürfen. Soviel vorweg.

Als ausgeprägter Morgenmuffel und spontaner Mensch konnte ich mir während der Schwangerschaft kaum vorstellen, dass ich im Babyalltag nichts so sehr begrüßen würde wie einen festen Tagesrhythmus. Der hat sich in den letzten drei Monaten  herauskristallisiert und verschafft mir mehrmals täglich kleine Verschnaufpausen. Den Rhythmus haben sich Babies übrigens selbst ausgesucht – die Idee, “einfach” mit den Babies unseren bisherigen Alltag fortzuführen, hat sich schon mit Einsetzen der Wehen klammheimlich davongemacht.

Und sonst? Nun jut, man kommt zu nix. Okay, fast nix. Irgendwas bleibt immer auf der Strecke. Duschen oder Schlafen oder Schreiben oder Kochen oder Rausgehen oder nach Hause telefonieren oder Wäsche waschen, falten, wegräumen… Was auch immer im Alltag erledigt werden muss, mehr als zwei Aufgaben nehme ich mir nicht vor. Der Rest vergeht mit Stillen, Babybrei machen (seit neuestem), Wickeln, in den Schlaf begleiten, Babys bespielen und bespaßen. Und dann ist es, zack, fünf Uhr. Und man wollte doch noch. Aber die Babies müssen raus (und ich auch).

Zwei so kleine Wesen brauchen ganz schön viel Aufmerksamkeit. In meinem Kopf sah ich immer zwei satte zufrieden spielende oder vor sich hin staunende Babies vor mir, die eigentlich nur weinen, wenn sie hungrig oder müde sind. Ha. Ha. Ha.

Wenn ich “zu lange” etwas anderes mache, melden sie sich. Das kann nach fünf oder 25 Minuten so weit sein. Dann ist ihnen langweilig oder sie lernen gerade sich umzudrehen und schaffen es nicht zurück auf den Rücken. Auf einmal dreht man den ganzen Tag Babies auf den Bauch oder auf den Rücken, reicht diese Rassel oder jene und fängt so spontan an zu singen wie ein Hauptdarsteller im Musical. Währenddessen hofft man, beiden in etwa die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken und die Kuscheleinheiten gerecht zu verteilen – puuuuuh.

Ein Höllenritt oder Die ersten zwei Monate mit Zwillingen

Zum Glück hat die Natur es so eingerichtet, dass man nach der Geburt noch ziemlich lange auf einer Welle von Glückshormonen und Adrenalin dahinrauscht. Keine Ahnung, wie man die erste Zeit mit den Babies sonst überleben soll. So in etwa stelle ich mir vor, einen Marathon zu laufen und zu gewinnen. Jeden Tag.

Durch den Kaiserschnitt und den hohen Blutverlust war ich die ersten Wochen ziemlich wackelig auf den Beinen. Meistens lag ich mit ein bis zwei nuckelnden Babies auf dem Sofa. Ab und an schliefen sie in ihrem Stubenwagen (a.k.a. Kinderbett auf Rädern, weil da beide reinpassten), aber am liebsten lagen sie auf oder an mir.

Als wir frisch zu Hause waren, behielten sie zunächst ihren Krankenhaus-Rhythmus bei. Das hieß alle drei Stunden wickeln, trinken, weiterschlafen. Das Vertrauen, dass die Babies schon selber wissen, wann sie Hunger haben, kam erst mit der Zeit. Auch die Schlafgewohnheiten änderten sich nur langsam. Anfangs legten wir sie jede Nacht zusammen in ihr Bettchen. Sie zum Stillen jedesmal herauszuholen, hat mich schnell genervt und uns alle viel Schlaf gekostet. Also haben wir nach einiger Zeit eine Seite vom Kinderbett entfernt und es hochprofessionell mit Kabelbindern an unserem Bett befestigt. Bis heute liege ich so nachts zwischen den beiden und muss mich zum Stillen nur in die eine oder andere Richtung drehen.

Der Mann ging nach fünf Wochen wieder voll arbeiten. Also googelte ich tagsüber verzweifelt Dinge wie “Alleine mit Zwillingen, wie organisiere ich mich?”. Das Internet schwieg. Durch die Anfangszeit muss man wohl einfach durch. Oft blieb ich mit den beiden einfach so lange es ging im Bett und stümperte mich dann irgendwie durch den Nachmittag.

Von anderen Eltern bekamen wir Mut zugesprochen: “Jetzt seit ihr im Auge des Sturms. Noch ein bißchen durchhalten und alles wird besser.” Und das wurde es. Wöchentlich! Anfangs zogen sich die Tage unendlich – und die Monate flogen nur so dahin. Wir spielten uns als Familie ein und aus den Säuglingen wurden Babies. Sie fingen an zu lächeln, zu schauen, das Köpfchen zu heben, zu greifen und sich zu drehen.

Helfer willkommen!

Die erste Woche zuhause war meine Mutter da und half, wo sie konnte. Essen kochen, aufräumen, einkaufen. Nicht sehr dankbare Aufgaben für eine frischgebackene Omi, aber ich und die Babies waren nach der anstrengenden Zeit im Krankenhaus im Dauerkuschel-Schlaf-Still-Modus und wollten nichts außer Zusammensein.

In den folgenden Monaten hatten unsere Besucher mehr Babyspaß, nichtsdestotrotz war die beste Hilfe ein frisch gekochtes Essen. Nie haben wir schlechter gekocht und gegessen als in den ersten Babymonaten. Gemeinsam zu essen war am Anfang fast unmöglich. Wie oft war das Essen fertig und die Babies hungrig! Abendessen nachts um zwölf? Mehr als einmal passiert. Bis heute schlafe ich oft mit den Babies ein und werde vom Mann zum Abendessen geweckt.

So tagträumte ich bisweilen von einem täglich frischen Häppchen-Buffet im Wohnzimmer, wo ich mir nur im Vorbeigehen was schnappen müsste. Leider lief es viel zu oft auf halbverbrannte Tiefkühlpizza und lasche Pasta mit Tomatensauce hinaus.

Mittlerweile sind aus den beiden zwei sehr soziale Wesen geworden, die sich gerne von Omas und Opas, Tanten und Onkeln beknuddeln und bespaßen lassen. Auch für die Kinderwagengucker bei unseren täglichen Spaziergängen ist oft ein Lächeln drin. Diese Kontaktfreudigkeit nutzen wir natürlich schamlos aus und überreichem dem glücklichen Gegenüber gerne ein Baby, um in aller Ruhe einen Kaffee zu trinken oder zu essen.

Mit Zwillingen allein zu Haus

Als Zwillingsmama habe ich eines sehr schnell gelernt: Gelassenheit. Das bedeutet, mich nicht von jedem Quaken aus dem Konzept bringen zu lassen. Sich einzugestehen, dass ich nicht immer beiden gerecht werden kann. Auszuhalten, dass ein Baby weiter weint, während das andere gestillt wird oder gerade einschläft. Zu lernen, beide gleichzeitig zu beruhigen (oder zumindest abzulenken). Ein selig schlafendes Baby aus dem Arm zu legen, weil das andere auch hungrig ist. Im Zwillingsalltag gibt es Unmengen solcher Momente. Das kann einem das Herz brechen. Am liebsten würde man sich zweiteilen, statt sich ständig zu fragen: Welches Baby braucht mich jetzt mehr?

Es gibt Tage, an denen ich mittags im Pyjama auf dem Boden sitze und die Babies auf meinem Schoß wippe. Es gibt Tage, an denen sie ein kleines Nickerchen machen und ich duschen kann. Und dann gehen wir eine Runde raus, weil das Wetter so schön ist. Dann gibt es Brei und irgendwie ist es schon wieder so spät und ich habe selber noch nichts gegessen. Es gibt Tage, an denen sie einfach nicht einschlafen wollen, obwohl sie selbstverständlich todmüde sind. Das einzige was mir hilft, ist ein fester Rhythmus – und die Disziplin, diesen einzuhalten. Angefangen haben wir damit etwa ab dem vierten/fünften Monat, wirklich rund läuft es hier erst seit ein paar Wochen. Und immer noch kann ein zu spät gemachter Brei mir den ganzen Tagesablauf durcheinander bringen.

Dazu muss ich sagen, die Babies sind jetzt acht Monate alt und in einer für mich sehr komfortablen Phase. Sie sind groß genug, um sich eine Weile selbst zu beschäftigen und beweglich genug, um an ihr Spielzeug heranzukommen. Und auch wenn eine mittlerweile kreuz und quer durchs Wohnzimmer wuselt, bin ich zum Glück immer noch schneller. Für mich bedeutet das, ich kann in Ruhe meinen Kaffee trinken. Naja, fast. Es wird sicher nicht mehr lange dauern, bis ich hier mit zwei in verschiedene Richtungen krabbelnde Babies sitze, die ich vor ungeahnten Gefahren bewahren muss.

Allen zukünftigen Zwillingseltern möchte ich an dieser Stelle herzlich gratulieren (das machen viel zu wenige)! Das schafft ihr!

Tagebuch: Morgen Kinder, wird´s was geben…

Heute war so ein Nachdenke-Tag. Weihnachten nähert sich mit Riesenschritten, es steht im wahrsten Sinne vor der Tür und die Woche ist viel zu schnell vergangen, wie immer. Vor ein paar Tagen haben wir einen neuen kleinen Menschen in unserer Familie willkommen geheißen. Und zack, da war sie, die Nachdenklichkeit. Was mir heute alles durch den Kopf geschwirrt ist!

Erstens habe ich daran gedacht, dass ich mir früher immer ausgemalt habe, wie meine Kinder und die meiner besten Freundin und Cousinen genau wie wir als Nachbarskinderbande die Gegend unsicher machen. Jetzt sind wir alle in anderen Städten und Ländern und es stellt sich die Frage, ob sie überhaupt jemals wirklich befreundet miteinander sein werden.

Die Babies sind heute wie immer so gegen acht aufgewacht, der Mann hatte noch Zeit, sie zu wickeln (juhu!) und ich konnte fünf Minuten weiter dösen. In den letzten Tagen ist Junibaby plötzlich nachts um vier aufgewacht und war eine Stunde wild am wippen, da half nichts außer aufstehen und im Arm herumtragen, bis sie einschlief. Wir sind also etwas müder als sonst und schieben es, wie alle unerklärlichen Nöligkeiten der Babies, auf das Zahnen. Naja, Zahnen oder Wachstumsschub, wobei sie so gesehen schon seit Monaten dauerzahnen und dauerschuben, das ist ja auch nicht realistisch, aber was soll´s, irgendwas wird´s schon sein.

Erstmal Kaffee und ein bißchen spielen, was im Moment bedeutet, die Babies aus womöglichen Gefahrenzonen wegtragen und Papierfetzen aus dem Mund holen. Dann gibt es Obst, welches unter mäßiger Begeisterung zermatscht und gegessen wird. Bei den kleinen Mengen fragt man sich ja schon, ob das auch wirklich reicht an Essen. Also google ich ein bißchen zu BLW und Beikost herum und bin wieder beruhigt. Solange ich weiterhin stille, scheint alles in Ordnung zu sein.

Nach einem kurzen Nickerchen gehen wir duschen, also ich, und die zwei staunen dazu. Für meine tägliche One-Man-Show sind die beiden sowieso ein sehr dankbares Publikum. Aber bloß nicht trödeln, sonst werden sie ungehalten! Ein abwechslungsreiches Programm wird gewünscht! Haare kämmen wird mit großen Augen beobachtet, außerdem gibt es heute “Das große Wäscheaufhängen” und “Fegen” im Programm.

Danach gibt es Mittagessen für alle und Siesta im Kinderwagen. Jacken anziehen ist blöd, aber sobald ich die Haustür aufmache, freuen sich beide und schlafen sogar bald ein. Wir drehen eine Runde am Strand. Bei Palmen und Meer kommt mir das letzte Fitzelchen Weihnachtstimmung abhanden, dabei ist in der Stadt fein dekoriert, aber es ist einfach nicht kalt und dunkel genug. Außerdem fehlen mir Poffertjes, Glühwein und gebrannte Mandeln. Eigentlich komisch, dass sich das mit der weißen Weihnacht so durchgesetzt hat, schließlich ist Bethlehem ja auch kein verschneites kleines Bergdorf. Die Krippen hier sind so gesehen viel realistischer, da reiten die heiligen drei Könige durch eine Art Wüste und Palmen gibt es auch.

Der Tag rast so vorbei, ich bin aufgeregt, weil wir noch packen müssen, die Geschenke sind natürlich noch nicht fertig gebastelt und morgen früh geht es schon zum Flughafen. Wie immer läuft kurz vor den Feiertagen das Handy heiß und ich verabschiede mich gedanklich von einer besinnlichen Weihnachtszeit. Es wird wie jedesmal der Versuch werden, alle lieben Menschen unter einen Hut zu bringen und am Ende hat man das Gefühl, für keinen so richtig Zeit gehabt zu haben. Oder man hat sich wirklich Zeit genommen und dafür nicht jeden getroffen, den man das Jahr über so vermisst hat. Man kennt das ja.

Dazu kommt noch der ganz normale Weihnachtskoller, den ich jedes Jahr bekomme. Wer und was sich da alles immer zusammenrauft und zusammenbraut ist filmreif. Muss das so? Ist das einfach der ganz normale Wahnsinn?

Die Babies schreien und nörgeln sich durch den Nachmittag, heute ist es wirklich ein Zahn, da ist was spitziges zu ertasten. Die andere heult empathischerweise gleich mit, beide sind anhänglich und wollen auf den Arm, also verbringe ich wertvolle Koffer-Pack-Stunden kinderliedersingend auf dem Boden sitzend.

Schwägerin und Schwager kommen noch zum Verabschieden vorbei, der Mann ist das erste Mal über Weihnachten mit in Deutschland, was mich sehr freut – aber auch sehr nervös macht. Ich hoffe, er fühlt sich wohl. An den eigenen Familienwahnsinn ist man ja gewöhnt, aber so ein Schwiegerfamilienwahnsinn in einem anderen Land ist eine ganz andere Nummer (ich spreche da aus Erfahrung). Zwischendurch frage ich mich, ob die Option “einsame Berghütte zu viert” noch umzusetzen ist, dann denke ich: Augen zu und durch. Wie jedes Jahr wird es schon werden, das Essen wird schmecken, der Baum fachgerecht aufgebaut, geschmückt und beleuchtet sein und die Weihnachtslieder lassen sich wunderbar schief singen.

Und dann schlafen die Babies endlich, wir essen Tiefkühlpizza und packen zu viel Zeugs ein und tja, irgendwie musste ich diesen Tag noch loswerden. Jetzt aber ins Bett, morgen früh um sechs geht es los und Fliegen mit zwei siebenmonatigen Babies ist eine weitere Herausforderung. Also, gute Nacht und Frohes Fest!

Alles doppelt gemoppelt? Welche Sachen wir für die Zwillinge im ersten halben Jahr wirklich gebraucht haben

Wichtig war uns von Anfang an: Bloß nicht zuviel Babykram! Wir wollten nicht im Bälleparadies leben, sondern nur Sachen haben, die wir wirklich gebrauchen können. Das hat nicht 100% funktioniert. Ha, wie auch?! Alle wollten gerne etwas für die Babies schenken und nach dem hundertsten “Was braucht ihr denn?” gingen uns die Antworten aus. Was rede ich da! Nach dem fünften. Da wir noch vollkommen neu im Eltern-Business waren, hatte uns die Frage schon zu Beginn der Schwangerschaft Kopfzerbrechen bereitet. Als endlich der berühmte Nestbau-Trieb einsetzte, durchstöberte ich das Internet nach Tipps und stellte mir eine Liste für die Grundausstattung zusammen. Dazu gab es noch eine Sektion “Nice to have”, auf der ich alles sammelte, was mir unterwegs so in den Sinn kam.

Viele hatten andererseits “Angst”, was falsches oder schon vorhandenes zu schenken. Immer wieder überlegten wir, was wir uns brauchbares wünschen könnten. Das war gar nicht so einfach! Denn, und das hat sich in diesem ersten halben Jahr mit den Zwillingen bestätigt: Babies brauchen nicht viel. Solange Mama, Milch, was zum Anziehen und Windeln da sind, ist alles in bester Ordnung. Mama braucht dann noch Papa oder einen sonstigen Helfer, genügend zu essen und mentale Unterstützung. Wenn das soweit passt, gibt es allerdings schon noch ein paar Dinge, die den Alltag mit Zwillingen erleichtern.

Was ziehen die Babies an?

Welche und vor allem wie viele Anziehsachen unsere Babies brauchen, habe ich nie herausgefunden. Wir haben aus reinem Spaß an der Freud’ zwei Sets Neugeborenenkleidung gekauft, um die Babies auch mal schick zu machen. Das waren ein Body, eine Mütze, zwei Strampelhosen und zwei Jäckchen pro Baby. Das wars. Der Rest kam aus einer Riesenkiste an Babysachen, die hier im Bekanntenkreis die Runde macht, eine zweite Kiste hat mir eine Freundin aus Deutschland geschickt (dankeschöööön!). Da war von allem genug dabei. Wir hatten und haben mehr als genug und haben viele Sachen garnicht benutzt. Trotzdem habe ich mich (entgegen meiner Befürchtungen) über geschenkte Babyklamöttchen gefreut. Ab und zu will man seinen Süßen einfach was schönes Neues anziehen! Mal sehen, wie wir die nächsten Monate klamottenmäßig über die Runden kommen, so langsam verebbt die Kleiderflut.

Was war meine Rettung?

Um den Alltag mit Zwillingen zu meistern, haben mir vor allem zwei Dinge geholfen: ein Tragetuch (Boba Wrap) und eine Federwiege. Beide stammen aus dem oben genannten Elternfundus und waren ein Segen für mich. Klein Petita hatte ich in den ersten vier Monaten so oft es ging im Tuch. Da fühlte sie sich am wohlsten und schaute zufrieden in die Welt. Leider konnte sie nicht den ganzen Tag da drin bleiben, schließlich wollte ihre Schwester ja auch zwischendurch stillen oder getragen werden. Das war ein ganz schönes Gewickel! Trotzdem hat es mir sehr geholfen.

Die Federwiege wurde fast vollständig vom Junibaby belegt. Sie schläft bis heute am liebsten sanft wippend darin ein – ideal für den Mittagsschlaf! Wir haben sie strategisch geschickt über dem Sofa platziert, so kann ich Petita auf der Chaiselongue in den Schlaf begleiten und mit einer Hand die Zwillingsschwester wippen.

Im heißen spanischen Sommer war es nie besonders schön ein Stillkissen zu benutzen, wer legt sich schon bei 36 Grad gerne ein dickes Kissen um den Bauch? Wenn beide Babies lauthals brüllen, hilft jedoch nur Tandemstillen und dafür ist so ein Kissen schon hilfreich. Die ersten zwei Monate habe ich dazu ein normales Stillkissen zusammen mit ein paar Sofakissen benutzt. Das war ziemlich nervig, ständig ist ein Kissen oder ein Baby verrutscht. Schließlich haben wir uns das Zwillingsstillkissen von CorpoMed bestellt. Tandemstillen ist für mich immer eine Notlösung geblieben, so Babies bewegen sich ja auch und haben verschiedene Lieblingspositionen. Trotzdem war das Kissen ein echter Helfer in der Not. Mittlerweile dient es uns als äußerst gemütliches Aufm-Sofa-abhäng-Kissen und man kann außerdem gut ein Baby dazwischensetzen. Der Kauf hat sich also mehrfach gelohnt.

Was haben wir bisher wenig gebraucht?

Die Milchpumpe habe ich ungefähr dreimal benutzt. Zwei Babies trinken ja schon häufig; gerade am Anfang hätte ich nicht gewusst, wann ich denn nun auch noch Milch abpumpen soll. Die paar Male, die es geklappt hat, waren dann auch etwas frustrierend, denn keins der Babies wollte aus der Flasche trinken. Doof. Jetzt finden sie Fläschchen (mit Wasser) aber recht spaßig. Vielleicht kommt das mit dem Milchabpumpen ja noch?

In der Hektik des Nachhausekommens hatte der Mann außerdem einen Fläschchenwärmer und einen Sterilisator für die Mikrowelle gekauft. Letzteren haben wir so lange benutzt, bis ich eines Tages übermüdet die Mikrowelle zweimal hintereinander angestellt habe und der O-Ball zusammen mit den Schnullern darin geschmolzen ist. Seitdem reicht uns Wasser und etwas Seife. Einen neuen O-Ball haben wir auch nicht gekauft (sie waren immer so wütend, weil sie nicht reinbeißen konnten).

Womit spielen die Zwillinge?

In den ersten Monaten war ein Mobilé natürlich der Hit. Das staunten sie dann an. Als sie etwa drei Monate alt waren, haben sie zwei kleine Spieluhren geschenkt bekommen, die lieben sie bis heute. Wenn sie quengelig sind, kann man sie damit super ablenken. Die kleinen gelben Kästchen werden mittlerweile genauestens untersucht und benuckelt.

Wir hatten eine Spieldecke mit Bogen, die ich einmal monatlich rausgeholt habe, bis sie mit fünf Monaten endlich Interesse an den daran baumelnden Sachen zeigten und anfingen, danach zu greifen. Heute benutzen wir die Decke ohne den Bogen, von den Sachen die daran hingen, finden sie immer noch einen kleinen Spiegel und eine Rassel interessant.

Generell ist jetzt alles toll, was Geräusche macht. Die Lieblingsrassel ist seit zwei Monaten ein langweilig aussehender einfacher Holzring von Grimm´s (mit drei kleineren Ringen dran), auf dem man auch noch schön herumbeißen kann. Kuscheltiere und Doudous werden kurz angelutscht und dann liegen gelassen, die warten noch auf ihren großen Moment. Ansonsten mögen sie Fingerspiele und lieben Alltagsgegenstände – alles was Mama und Papa in der Hand haben, hätten sie auch gerne.

Aktuell mögen sie eine Tupperdose mit klappernden Wäscheklammern drin, einen leeren Fünf-Liter-Wasserkanister (das Leitungswasser hier schmeckt nicht), meine Hausschuhe und alte Zeitschriften. Das mit den Zeitschriften ist so eine Sache, weil sie die am liebsten essen, aber solange ich in der Nähe bin, lasse ich sie ein bißchen damit herumwurschteln.

Was ist sonst noch praktisch?

Aus Deutschland habe ich mir zur Geburt bunte Spucktücher gewünscht, die findet man hier kaum. Die hatten wir vier Monate ständig im Einsatz, heute dienen sie häufiger zum “Kuckuck” spielen.

Wir haben zwei Babywippen, die wir eine Weile zum Brei essen benutzt haben. Vor ein paar Tagen haben wir zwei TrippTrapps aus zweiter Hand ergattert, seitdem essen wir mehr oder weniger gemeinsam. Die Babywippen benutze ich immer nur kurz, so kann ich zum Beispiel “in Ruhe” duschen und dabei ein Auge auf die Babies haben.

Tja, und das war es dann auch. Ich bin gespannt was die nächsten Monate bringen. Sie können sich ja jetzt immer besser vom Fleck bewegen und werden immer neugieriger – wer weiß, welche Hilfsmittel und Tricks dann unsere Rettung sind?

Eine Gruppe von Cagatios, katalanischen Weihnachtswesen

Es weihnachtet sehr

Heute war Nikolaus und ich habe uns Erwachsenen ganz unerwachsen zwei Überraschungseier gekauft, um der Tradition in diesem Haushalt ein bißchen gerecht zu werden. Nach Spanien kommt der Nikolaus nicht, das ist also ein Teil der deutschen Kultur, den ich meinen Mädchen näherbringen möchte. Wie jedes Jahr habe ich eine kleine Krippe und einen kleinen, hm, Weihnachtsstrauß? aufgebaut, als Adventskranz dient eine rote Kerze (ich schaffe es nie, alle vier Kerzen abzubrennen, darum nur eine).

Unter Palmen und bei Sonnenschein kann einem das heimelige Weihnachtsgefühl schnell abhanden kommen, da muss ich mich immer ein bißchen bemühen. Dieses Jahr passt die Stimmung aber ganz gut zur Jahreszeit. Ob das an den Babies liegt? Oder daran, dass es ausnahmsweise winterlich kalt ist?

Weihnachten auf katalanisch

Es gibt hier an der Mittelmeerküste keinen winterlich verschneiten Wald und ein Schneeflöckchen Weißröckchen löst hier ein mittleres bis großes Verkehrschaos aus, habe ich mir sagen lassen. Die Großeltern erinnern sich noch an die Gran Nevada, die “Große Schneierei” von 1962. Zuletzt schneite es hier 2010 und der Mann brauchte neun stunden von der Uni nach Hause (statt einer).

Entsprechend fühlt sich Weihnachten hier einfach anders an. Auf dem Weihnachtsmarkt gibt es keinen Glühwein und nichts zu Essen, sondern Krippenfiguren und Weihnachtsdeko. Das finde ich sogar ganz schön, so aufs Wesentliche reduziert. Ich kann mir vorstellen, dass die ersten Weihnachtsmärkte in Deutschland auch so angefangen haben.

Spaziert man über einen katalanischen Weihnachtsmarkt, können einem zwei seltsame Wesen auffallen: Der Caganer und der Tio de Nadal.

Der Caganer ist eine etwas außergewöhnliche Figur (und ein Verkaufsschlager), die ihren Platz in jeder typisch katalanischen Krippe hat. Auf gut deutsch gesagt, hockt der “Scheißer” etwas abseits der heiligen Familie und kackt in die weihnachtliche Landschaft. Fragt mich nicht, woher der Brauch kommt, der Mann meint dazu: Nun ja, der musste halt vor Aufregung mal, weil das Jesuskind geboren wurde. Irgendwer auf der Welt kackt ja immer gerade, also macht der Caganer die Szene erst glaubwürdig. Auf den Weihnachtsmärkten finden sich Caganers in vielen verschiedenen Ausführungen, darunter Angela Merkel, Leo Messi und Donald Trump, aber mir gefällt er am besten im traditionellen katalanischen Gewand.

Warum die Katalanen Weihnachten mit Kacken verbinden, weiß wohl niemand so genau. Jedenfalls gibt es ein weiteres Zauberwesen, welches das Thema aufgreift und Kinderaugen leuchten lässt: Der Tio de Nadal (Weihnachtsonkel) oder Cagatio (Kackonkel). Dieser Zeitgenosse ist mir sehr ans Herz gewachsen. Es handelt sich hierbei um einen possierlichen Holzscheit (siehe Titelfoto), der in der Vorweihnachtszeit seinen kalten Wald verlässt, um bei uns Menschen zu überwintern. Bei einigen Familien steht er eines Tages vor der Tür, andere entdecken ihn bei einem Waldspaziergang.

Die Kinder füttern ihren Cagatio eifrig mit Mandarinen und Nüssen, bis er am 25. Dezember so satt und glücklich ist, daß er kleine Geschenke kackt. Warum er dazu mit einem Stock gehauen wird, ist mir schleierhaft. Jedenfalls bevölkern um Weihnachten herum zahlreiche Cagatios die Weihnachtsmärkte. Ein baumstammgroßes Exemplar steht neben dem städtischen Weihnachtsbaum und lädt zum Fotos machen ein.

Wer bringt die Geschenke?

In Spanien gibt es die für mich sehr nachvollziehbare Tradition, dass die Geschenke am Dreikönigstag gebracht werden und zwar von den Reyes Magos, den Heiligen Drei Königen. Was mir daran besonders gefällt, ist die rührende Umsetzung dieser Tradition. Ein glaubwürdigere Darstellung könnten weder der Weihnachtsmann noch das Christkind abliefern.

Wochen vor Weihnachten entsenden die Könige ihre Pagen in die Städte, um die Wunschzettel der Kinder entgegenzunehmen. Je näher Weihnachten rückt, desto länger werden die Schlangen vor dem Pavillon, in welchem der Page logiert.

Am fünften Januar kommen die Heiligen Drei Könige in Spanien an. Bei uns im Ort landen sie am Hafen und fahren dann in einem großen Umzug durch die Stadt. Aus märchenhaft dekorierten Wagen werden ähnlich wie beim Karneval Bonbons geworfen (allerdings viel weniger) während am Straßenrand die Kinder vor Aufregung fast vergehen. Einige Kinder halten wie bei Sankt Martin Laternen in der Hand (was es hier leider nicht gibt).

Fast jedes Kind hat seinen Lieblingskönig, der sehnsüchtig erwartet wird. Und da kommt auch schon der erste mit seinem Gefolge. Orientalisch gekleidete Trommler gehen seinem Wagen voraus. Der König sitzt hoch oben auf seinem Thron, umgeben von seinen Dienern. Einige Kinder werden auf den Wagen gehoben, um ihm ihren Wunschzettel persönlich zu überreichen. Übrigens: Schlimmerweise war der afrikanische König Balthasar lange Zeit ein schwarz angemalter Weißer, mittlerweile werden er und sein Gefolge von der afrikanischen Gemeinde dargestellt.

Nachts, wenn die Kinder schlafen, senden die Könige ihre Helfer aus. Am Morgen des sechsten Januar gibt es dann endlich Bescherung. Wer nicht brav war, bekommt einen Sack voller Kohlen. Die “Kohlen” sind schwarz gefärbte Zuckerklumpen in kleinen Jutebeuteln – manchmal bringe ich aus Quatsch welche nach Deutschland mit, probiert habe ich sie allerdings noch nie.

Für die Spanier zieht sich die Weihnachtszeit also bis zum sechsten Januar – ganz schön lang! Für uns als binationale Familie ist das ziemlich praktisch: So können wir Heiligabend ruhigen Gewissens in Deutschland verbringen und am Dreikönigstag bei der spanischen Familie feiern. Finde ich zumindest, für den Mann wird es dieses Jahr das erste Weihnachten in Deutschland. Er fremdschämt sich schon, weil ich ihm gesagt habe, dass wir bestimmt Feliz Navidad singen werden 😀

Die erste Woche mit Zwillingen – ein Rückblick

Als die Zwillinge gerade geboren waren, und alles neu, schlaflos und aufregend war, hat es uns jeder gesagt: Die Zeit vergeht so schnell, genießt es! Wir haben es genossen und genießen es noch immer, aber ich muss sagen: Die ersten zwei Monate waren verdammt anstrengend. Wir mussten uns aneinander gewöhnen und versuchen, den Alltag zu meistern.

Irgendwann um den dritten Monat herum wurde es auf einmal leichter: Mehr Schlaf, mehr Routine, mehr Gespür füreinander. Jetzt sind die Zwillinge längst keine winzigen Säuglinge mehr, sondern richtige Babies. Und ja, die Zeit ist so! schnell vergangen! Wie immer, wenn die Babies einen kleinen Geburtstag haben, erinnere ich mich an die erste Woche zu viert…

“La Bessonada”

Auf die schwierige Geburt folgten anstrengende Wochen. Davon war die erste sicher die schwierigste. Zwei Tage lag ich auf der Intensivstation und konnte meine Babies nur auf den Fotos sehen, die der Mann mir zeigte. Die ersten zwei Tage in ihrem Leben habe ich verpasst. Es gab keinen kuscheligen Stillbeginn mit Haut-an-Haut-Kontakt, sondern Fläschchen für sie und Milchpumpe für mich. Der Mann pendelte zwischen mir und den Babies hin und her und hielt meine Familie und die beste Freundin in Deutschland auf dem Laufenden. Erst nach 36 Stunden, als er wusste, dass ich außer Gefahr war, konnte er etwas schlafen.

Aber die Babies mussten ja auch versorgt werden! Alle drei Stunden kamen die Kinderkrankenschwestern und brachten die Fläschchen. Die Großeltern und Tanten kamen, um zu helfen. Währenddessen wartete ich darauf, endlich meine Mädchen in die Arme zu schließen.

Bekannt als “La Bessonada” waren wir fester Bestandteil des Krankenhaustratsches (das katalanische Wort für Zwillinge ist bessons, also könnte man den Begriff grob mit “die Zwillingerei” übersetzen). So eine dramatische Geburt, die Mutter immer noch auf der Intensiv und die zwei Neugeborenen mit dem Vater auf der Kinderstation, das spricht sich herum.

Alle nahmen Anteil, von der Putzfrau bis zum Oberarzt. Die Kinderkrankenschwester kam zu mir, um nach der “Mami von den zwei Schönen” zu schauen und zu sagen, dass es ihnen gut geht und sie auf mich warten. Die Hebamme, welche mich bei der Geburt begleitet hatte, schickte eine Freundin vorbei, die gerade Dienst hatte (sie selbst kam bei ihrem nächsten Dienst natürlich auch). Die Ärztin, die den Kaiserschnitt gemacht hatte und der Arzt, der mich durch die letzten Wochen der Schwangerschaft betreut hatte, kamen natürlich. Alle waren sehr herzlich und liebevoll und machten uns Mut.

Eine schrecklich schöne Woche

“Ein Mann hätte das nicht geschafft. Aber diese frischgebackenen Mütter haben etwas in sich…” sagt der Arzt, als er mich endlich von der Intensivstation entlässt. Ob es wirklich geholfen hat, dass ich meine Babies noch einmal kurz sehen konnte, bevor die Narkose wirkte? Am Nachmittag des zweiten Tages darf ich jedenfalls endlich zu ihnen. Ein Pfleger schiebt mich im kollernden Bett durch die Flure zum Aufzug. Ich bin aufgeregt und nervös. Als wir ins Zimmer kommen, wartet mein Mann auf mich. Die Babies werden gerade gewogen und gebadet. Im ersten Moment bin ich etwas enttäuscht und unruhig, dann hören wir schon Geschrei und die klappernden Bettchen im Flur.

Kamen beide gleichzeitig herein oder nacheinander? Ich weiß nur noch, daß ich ziemlich schnell beide an der Brust hatte und meine kleine Erstgeborene seit dem Moment nicht mehr von meiner Seite wich. Die erste Nacht mit den beiden habe ich fast nicht geschlafen, so aufgeregt war ich. Ständig musste ich diese kleinen Wunderwesen betrachten und bestaunen.

Die weiteren Tage im Krankenhaus waren irgendwie schrecklich, absurd und wunderschön. Schrecklich, weil ich überall Schläuche hatte, die Narbe schmerzte und ich mich kaum bewegen konnte. Ständig musste mir jemand die Babies anreichen und mir helfen, mich in Stillposition zu bringen. Mich schmerzte, dass ich nicht die Kraft hatte, die beiden selber zu wickeln, auch wenn das Papa, die Krankenschwester oder die Tante super erledigt haben.

Eigentlich wollte ich nur mit den beiden alleine sein, stattdessen gab es im Krankenhaus-Alltag kaum Ruhepausen. Alle drei Stunden Fläschchen, dazwischen Visite für mich, für die Babies, Frühstück, Babies wiegen und baden, waschen und Medikamente für mich, netter (und weniger netter) Besuch, Mittagessen, wickeln…so ging es Tag und Nacht weiter. Dazu schwitzte ich vor mich hin, die Sonne knallte ins Zimmer und man konnte die Fenster nicht öffnen. Also alles andere als schön.

Absurd, weil einige Situationen so doof waren, dass wir nur noch ungläubig lachen konnten. Es gab sehr nette Kinderkrankenschwestern (meistens die jungen) und die abgebrühten Nachtschwestern alter Schule mit ruppigem Griff und strengem Gesicht. Mit letzteren stritten wir uns, wenn die Babies ihre Fläschchen nicht ausgetrunken hatten – obwohl ich ja bereits stillte. Die andere Mutter, die für zwei Stunden das Zimmer mit uns teilte: Drei Neugeborene und zwei Elternpaare in einem Raum, dazu mein desolater Zustand und Besuchszeit. Grauenhaft! Am Nachbarbett eine frischgebackene Oma und eine von der Geburt erschöpfte Mama, während ich noch nichtmal alleine auf Toilette gehen kann. Stichwort Bettpfanne. Mehr muss man nicht sagen. Sämtliches Pflegepersonal hat sich bei uns (und sicher auch bei ihr) entschuldigt, als sie später auf ein freies Zimmer verlegt wurde. Das war definitiv der Tiefpunkt. Es war so dermaßen blöd alles, dass wir irgendwann nur noch darüber lachen konnten.

Wunderschön. Da waren meine Babies, der Mann und ich, alle vier. Gesund und froh, zusammen zu sein. Trotz des ganzen Trubels um uns herum hatten wir ab und zu Momente, in denen die Zeit kurz still stand. Ein leises Gespräch mit den schlafenden Babies auf dem Arm. Die Stunde am frühen Morgen, bevor der Tag losging. Der Mann, der jede Nacht auf dem unbequemen Krankenhaussessel neben mir schlief. Das hat uns durch die ganze Woche getragen und begleitet mich noch heute.

Home sweet Home

Und dann, ganz plötzlich wurde ich entlassen, wirklich, von einem Tag auf den anderen. Erst einen Tag vorher hatte ich das erste Mal wieder geduscht und ein paar Schritte gemacht. Und dann hieß es: Wenn du bereit bist, könnt ihr nach Hause. Nichts wollte ich lieber. Endlich raus aus dem Krankenhausbett mit der Plastikmatratze, dem muffigem Zimmer und bloß weg von den Nachtschwestern mit ihren Alle-drei-Stunden-Fläschchen. Trotzdem ergriff uns Panik: Hatten wir alles zu Hause, was wir brauchten?

Während meine Schwägerin mir half, unsere Sachen zu packen, raste der Mann in die Stadt um den Windelvorrat aufzustocken und unsere Ankunft vorzubereiten. Den Weg zum Auto und nach Hause schaffte ich nur mithilfe von drei zuckerigen Limonaden und vielen Pausen, so wackelig war ich auf den Beinen. Im Nachhinein betrachtet klingt es etwas irre, aber in dem Moment wollten wir so schnell es geht heim. Dort erwartete uns das Chaos. Eine Woche vorher waren wir stürmisch Richtung Krankenhaus aufgebrochen und hatten alles stehen und liegen lassen. Dazwischen war der Mann nur zum Duschen und Babysachen holen hergekommen.

Tja, da saßen wir nun, zwischen Windelpaketen und Krankenhaustasche, mit den beiden winzigen Babies im Arm. Und atmeten auf.

Kinder, Kinder!

Ohne allzusehr verallgemeinern zu wollen: Die Menschen hier sind sehr kinderfreundlich. Schon in der Schwangerschaft gab es allerorts Anteilnahme, jetzt sind die Babies da und wir kommen uns manchmal vor wie eine Jahrmarktsattraktion. Es braucht keinen Mäusezirkus oder Schellenäffchen, es reicht der Doppelkinderwagen!

Das kam nicht überraschend, davon haben schon mehrere Zwillingseltern berichtet. Und ich denke, dass auch in Deutschland der Gesprächsbedarf netter älterer Damen beim Anblick eines Zwillingskinderwagens deutlich steigt.

Mittlerweile habe ich schon trilliardenmal das gleiche Gespräch geführt (“Oh, Zwillinge! – Ja – Eineiig oder zweieiig? – Zweieiig – Die sehen sich aber nicht ähnlich – Nein – Ach und sie hier ist viel größer! – Ja, die wiegt fast ein Kilo mehr – Das ist aber viel Arbeit, ne? – Jepp – Aber schön! – Jaa – Alles Gute – Danke”) und freue mich trotzdem noch über die Aufmerksamkeit, die meinen Babies hier geschenkt wird.

In einem halben Jahr habe ich noch keinen Laden betreten, in dem nicht ein Augenzwinkern oder ein Späßchen für die beiden drin war. Es gibt Bauchgrabbler, Wangenkneifer und Tragetuch-Zurechtzupfer. Es gibt Teenagerjungs, die die beiden zum Lachen bringen und Verkäuferinnen, die hinter der Ladentheke hervorkommen. Es gibt Glückwünsche von anderen Zwillingseltern, Beileid von Einlingseltern und Segenssprüche von Großeltern. Von überallher hört man ein “Qué guapas!” und fröhliches Hallo.

Als wir eine Woche zu Besuch in Deutschland waren, wurden die beiden genau dreimal angelacht. Zweimal von älteren Damen und einmal von drei deutschtürkischen (kann man das politisch korrekt so sagen?) Jugendlichen. Dabei lachen meine kontaktfreudigen Babies gerne mal zuerst…In Spanien dagegen empfinde ich, dass Kinder und auch alte Menschen viel mehr Teil der Gesellschaft sind. Sie stören nicht und sie werden auch nicht ignoriert. Sie gehören einfach dazu.

Alte treffen sich nachmittags auf “ihrer” Bank in der Innenstadt, an ihrem Platz oder zum Petanca (=Boule) spielen. Außerdem werden die Großeltern viel mehr in den Familienalltag eingebunden: Opas und Omas holen ihre Enkelkinder von der Schule ab. Auf meinen Spaziergängen sehe ich stolze kinderwagenschiebende Großeltern. Es ist in vielen Familien selbstverständlich, dass beide Eltern arbeiten und abends die frisch gebadeten und satten Kinder von Oma und Opa in Empfang nehmen.

Elternzeitneid

Und da sind wir auch schon bei der anderen Seite der Medaille: Die Elternzeit beträgt nur vier Monate und die meisten Familien können sich überhaupt nicht leisten, dass nur einer arbeiten geht. Nach vier Monaten wird also abgestillt (falls überhaupt gestillt wurde) und das Baby schweren Herzens an die Omi übergeben. Wer länger Stillen möchte, muss abpumpen. Auch wenn Anfangs einige Tränen fließen, bestätigen mir fast alle Mütter: Es hat durchaus etwas für sich, ein paar eigene Stunden am Tag zu haben, und sei es auch “nur” am Arbeitsplatz. Für mich klingt das zwar plausibel, aber ich bin heilfroh, dass wir uns ein volles Babyjahr leisten können.

Mit Ablauf der vier Monate Mutterschutz (bei Zwillingen viereinhalb, also zwei Wochen mehr) gibt es kein Elterngeld mehr. Die monatlichen 100 Euro Kindergeld werden bis zum dritten Lebensjahr ausgezahlt. Für Zwillingseltern gibt es außerdem noch eine einmalige Zahlung von etwa 2000 Euro zur Unterstützung. Da schaue ich in Sinnkrisen schonmal neidisch auf meine Mädels in Deutschland mit ihrer Elternzeit und den tollen Reisen mit Mann und Baby nach Neuseeland oder sonstwohin und denke: Hätte hätte, Fahradkette…das haste jetzt davon!

Ein Jahr Auszeit ist hier ein Luxus, der bei manchen auf Unverständnis stösst. Allen voran bei der spanischen Yaya (= Omi), die ganz scharf auf “ihre Mädels” ist und mir gerne beiläufig erzählt, der Enkel ihrer Schwester hätte ja schon mit vier Monaten bei Oma übernachtet und die Mama geht schon wieder arbeiten und überhaupt, dem Baby geht es ja soo gut bei Omi…ähnlich subtil antworte ich dann, dass ich das ja nicht könnte – bei dem Thema stoßen immer wieder unsere Kulturen und Mentalitäten aufeinander.

Ein Glück wurden dieses Jahr in Spanien vier Wochen Vaterzeit eingeführt (bis letztes Jahr waren es nur zwei). Die gingen zwar wie im Flug vorbei, aber immerhin. Kein Wunder, dass die Geburtenrate in Spanien so niedrig ist. Ohne eine funktionierende Familienstruktur im Hintergrund oder als Geringverdiener ist Kinderhaben hier eine schwierige Sache. Schon komisch, dass man hier trotzdem oft den Eindruck hat, hier wimmelt es überall von Kindern.

Das liegt sicher auch am guten Wetter, das Leben findet einfach viel mehr auf der Straße statt. Aber bestimmt auch daran, dass Kinder eben keine Störenfriede sind. Wenn um fünf Schule aus ist, sieht man die Eltern auf einer Terrasse Kaffee trinken während nebendran so ein Wirrwarr aus Rollern, rennenden Kindern und fliegenden Bällen herrscht, dass ich mich manchmal kaum mit dem Kinderwagen über den Platz traue. Niemand weist die laut rufenden Kinder zurecht, sondern alle laufen kreuz und quer einfach drumherum. So ist das hier. Und so komme ich auch jeden Tag ein bißchen mehr hier an, seit meine Mädels da sind. Weil sie so wunderbar auf dieser Welt willkommen geheißen werden.

Meer und große Steine

Leben, wo andere Urlaub machen

“Leben, wo andere Urlaub machen! Das wollte ich auch immer!” höre ich öfter auf meinen Heimatbesuchen. Ja, und warum hast Du es nicht gemacht? Weil wirklich auszuwandern, auf Zeit oder für immer, eben gar nicht so einfach ist…

Hätte mir das mal jemand vorher gesagt! Oder vielleicht besser nicht?

Leben, wo andere Urlaub machen, ist alles mögliche, aber kein Urlaub. Du hast keine Pause vom Alltag, sondern bist mittendrin. Du kannst dich nicht mit deiner besten Freundin auf einen Kaffee treffen, sondern ihr erwischt euch mit viel Glück am Telefon. Du schaffst es nicht jeden Tag ans Meer, wie du es dir vorgenommen hast, sondern eher mal am Wochenende. Da ist der Strand genauso voll wie euer örtliches Freibad im Hochsommer.

Leben, wo andere Urlaub machen, bedeutet, dass Du neben rotverbrannten halbnackten Touristen im Supermarkt stehst und überlegst, ob du noch Klopapier zu Hause hast.

Leben, wo andere Urlaub machen, heisst, vaya, seine Steuererklärung abzugeben, wo andere Urlaub machen. Müll runterbringen, schreiendes Kind beruhigen, Spülmaschine ausräumen – während andere durch die Stadt schlendern und das “mediterrane Leben” mit Tapas, Paella und Wein genießen. “Olé!” oder wie sagt man hier?

Alles nur Klischee?

Leben, wo andere Urlaub machen, ist anstrengend. Du musst neue Freunde finden, dich einleben und irgendwie integrieren (was auch immer das heißt). Du trittst in Fettnäpfchen, ohne es zu bemerken. Du musst deinen exotischen Vornamen buchstabieren und dir fehlt ein Nachname. Wenn Du in Deutschland eher klein warst, bist du hier eher groß. Du bist “die Deutsche” und deine direkte “nordeuropäische” Art kann die Menschen hier ganz schön irritieren. Ist das typisch deutsch oder ist das dein Charakter? Das weiß hier niemand so genau, nicht einmal du selbst.

Das deutsche Sonntagsfrühstück wird durch den Vermut auf einer Terrasse ersetzt, bis Du leicht angeduselt zum Mittagessen aufbrichst (du solltest endlich mal anfangen, Meeresfrüchte zu mögen). An den neuen Tagesrhythmus mit der Siesta am Mittag (und den entsprechend geschlossenen Läden in der Innenstadt) musst du dich erst gewöhnen, dann lernst du die zwei bis drei ruhigen Stunden am Mittag zu schätzen, sogar sehr. Du verabredest dich mit einer Freundin auf einen Kaffee und auf einmal seid ihr zu fünft. In der Gruppe ist einfach alles schöner, oder?

Ich kann spanisch! oder: Habe ich das gerade richtig gesagt?

Leben, wo andere Urlaub machen, schenkt dir neue Denkweisen. Du hast eine Sprache gelernt und bekommst eine zweite gratis dazu. Du merkst, wie präzise die deutsche Sprache mit ihren Wort-Aneinanderkettungen ist und wie anders eine Sprache funktioniert, die für jeden Begriff ein ganz eigenes Wort hat. Und dieses Wort kann dann mehrere Bedeutungen haben: Mit einem einfachen “te quiero” deckst du die gesamte Bandbreite von “Ich mag Dich” hin zu “ich liebe Dich” ab.

Dein Wortschatz ist nicht immer groß genug, um genau das auszurücken, was du möchtest. Deine Sprache verliert ihre Nuancen, das Subtile und vor allem der Humor ist häufig “Lost in Translation” (Ob die Deutschen deshalb in so vielen Ländern als humorlos gelten?). Nicht immer kannst du allen Gesprächen folgen. Mit deinem Akzent wirst du gleich als Ausländerin entlarvt, und du fragst dich, wie du mit dem gleichen Sprachniveau auf deutsch klingen würdest.

Was du für selbstverständlich hältst, wird hier ganz anders gemacht. Ein klares “Nein” wirkt fast wie eine Beleidigung. Bei der Wohnungssuche lernst Du, dass es höflicher ist, kleine Lügen loszulassen (“Oh, am Ende bleibt der bisherige Mieter doch in der Wohnung”) anstatt dich vor vollendete Tatsachen zu stellen (“Die Wohnung hat jemand anderes bekommen”). Bis du dich daran gewöhnst, dass man hier erst das dritte “Nein, danke” akzeptiert, hat man Dir schon dreimal den Teller wieder aufgefüllt und die Küche aufgeräumt. Sich ins Wort zu fallen gilt nicht als unhöflich. Und ja, man muss sehr laut sprechen, um gehört zu werden.

Palmen sind immergrün

Leben, wo andere Urlaub machen, lässt Dich aus dem Nichts Anfälle von Heimweh nach dem deutschen Wetter bekommen. Glaubt einem auch keiner, aber: In deinem Kopf wird aus diesem fisseligen deutschen Nieselregen ein kuscheliger Tag auf dem Sofa mit Tee und Waffeln; der Herbst ein einziges Drachensteigenlassen und buntes Blätterrascheln. Der Winter wird mit puderzuckrigem Schnee, Poffertjes und Weihnachtsmarkt garniert – und der Frühling?

Oh! Vom ersten Schneeglöckchen bis zu den Osterglocken und Krokussen auf dem taufrischen Gras ist der Frühling ein einziges Fest! Am ersten Frühlingstag liegt etwas ganz besonderes in der Luft, alle kommen aus ihren wintermuffigen Wohnungen gekrabbelt und halten das Gesicht in die Sonne: Aaaaah! Der deutsche Sommer mit seinen milden Temperaturen ist eine einzige lange Radtour zum See und wird gelegentlich durch einen lauen Sommerregen unterbrochen…hachja!

Zugegebenermaßen hält das Wetter-Heimweh nur so lange an, bis ich wieder in den wirklich fast jeden Tag blauen Himmel blicke und bemerke, dass ich im Oktober immer noch ohne Jacke und in Sandalen an der Strandpromenade entlang spaziere.

Menschen, die einem fehlen

Leben, wo andere Urlaub machen, ist: weit weg zu sein von geliebten Menschen. Die beste Freundin, mit der Du dich auch ohne viel Worte verstehst, ist weit weg. Deine Schwester und dein Bruder leben ihr eigenes Leben ganz ohne dich. Deine Babies lernen Oma und Opa, Tanten und Cousinen zunächst bei Skype, WhatsApp, Telefon oder E-Mail “kennen”. Und trotzdem verpassen wir so viel voneinander, weil wir ja auch leben müssen und nicht ständig am Handy hängen und dokumentieren können, wie es hier oder dort gerade ist. Seit die Babies da sind, erst recht nicht. Das ist nicht immer leicht, weder für dich, noch für die Daheimgebliebenen.

Schluss mit dem Gejammere!

Leben, wo andere Urlaub machen, macht Dich um eine Erfahrung reicher. Du siehst, lebst, denkst anders. Du nimmst dich mit in eine neue Umgebung und schaust was sie mit dir macht. Du bleibst Du und wirst doch jemand anders.

Du begegnest vielen neuen Menschen. Dadurch, dass der Mann von hier ist, haben wir schnell Anschluss gefunden und wurden mit offenen Armen und einem herzlichen Lächeln empfangen. Das hat es uns leichter gemacht, hier anzukommen. Gracies, nois!

Auch wenn Du jeden Tag das Meer siehst, der Himmel fast jeden Tag strahlend blau ist und es scheint, dass Du dich daran gewöhnt hast: Ab und zu schaust du dich auf einmal um, auf die Wellen, die Palmen und den Strand und dein Kopf macht Urlaub. Du merkst bei jedem Besuch aus Deutschland, wie sehr du dich schon eingelebt hast, und kannst immer wieder darüber staunen. An manchen Tagen erwischt es dich aus heiterem Himmel: Das ist wirklich wahr, dass ich jetzt hier lebe.

Katalanische Flagge der Unabhängigkeitsbewegung weht an einem Balkon

Katalonien, die Krise und ich

Mit dem 1. Oktober, dem Referendum und den Bildern der Polizeigewalt ist Katalonien in den Schlagzeilen gelandet. Und ich sitze mittendrin.

Wenn ich die letzten Wochen Revue passieren lasse, fällt mir vor allem eines auf: Dass in einer schweren Regierungskrise wie dieser der ganz normale Alltag einfach weiter geht. Und ich verstehe, warum sich die Menschen bei anbahnenden Konflikten nicht gleich aus dem Staub machen. Du hoffst einfach immer, es wird nichts passieren. Du möchtest nicht aus einer vielleicht unbegründeten Angst heraus deine Lieblingsbücher, dein gemütliches Sofa, deine Arbeit und noch weniger deine Freunde und Familie hinter dir lassen, um wohin? zu gehen.

Das klingt im Zusammenhang mit dem aktuellen Konflikt zwischen der katalanischen und der spanischen Regierung vielleicht etwas zu schwarz. Noch ist ist es nämlich genau das: Ein politischer Konflikt, der zunächst einmal nichts an meinem Alltag ändert. Das einzige, was sich geändert hat, sind die Gespräche. Alle verfolgen hier die Nachrichten und fragen sich: Was ist da passiert? Was wird als nächstes passieren?

Die meisten Menschen hier haben keine “rein” katalanische Familie. Viele haben Eltern oder Großeltern aus anderen Teilen Spaniens. Auch in unserer Straße ist nicht jeder Independentista, an einigen Balkons hängt die Estelada, an anderen nicht. Es gibt Viertel, in denen größtenteils spanisch gesprochen wird, weil die Mehrheit der Einwohner in den Sechzigern aus Südspanien hierhergezogen sind. Es gibt Viertel wie unseres, in denen der Alltag komplett auf katalanisch stattfindet. Viele sprechen zuhause spanisch und “auf der Straße” katalanisch. Bisher haben alle miteinander, nebeneinander, gemeinsam gelebt. Jetzt droht der Konflikt diese Gemeinsamkeit zu spalten und die Menschen zu zwingen, eine Seite zu wählen.

Vor dem Referendum

Es wehen nicht mehr Esteladas als sonst an den Balkonen. Erst als die Wahlkampagne an Fahrt aufnimmt, gesellen sich weitere Flaggen dazu. Wir haben Besuch und werden gefragt, ob es um ein Fußballspiel gehe. Der Konflikt ist noch lange nicht in den Schlagzeilen gelandet.

Dann kommt der 11. September, der katalanische Nationalfeiertag. Es gibt eine große Demo der Independentistas in Barcelona. Wie in den letzten Jahren haben sie sich eine Art Choreografie für die Demo ausgedacht. Sie zu erklären, ist mir etwas zu kompliziert, jedenfalls soll sich ein großes Plus-Zeichen ergeben, welches im Laufe der Demo die Farbe wechselt. An Ständen in der Innenstadt und vor einzelnen Läden bilden sich Schlangen, um die diesjährigen T-Shirts zu ergattern. Die Stimmung ist gut, die Leute sind etwas aufgeregt und in freudiger Erwartung. Das ganze hat etwas von einem Volksfest.

Bei uns im Ort streben viele mit umgebundenen Esteladas und in den neongelben T-Shirts der Aktion dem Bahnhof Richtung Barcelona zu. Wir bleiben zu Hause und schauen uns das Spektakel im Fernsehen an. Beim abendlichen Spaziergang treffen wir auf die zurückkehrenden Demonstranten, viele sind sehr bewegt. Auch wenn die Choreografie nicht ganz geklappt hat, hat die Demo das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt.

Spätestens jetzt sind an vielen Häusern auch die “SÍ”-Flaggen zu sehen, welche für das Referendum und die Unabhängigkeit werben. Die Menschen wünschen sich ein legales Referendum mit einem bindenden Ergebnis. Aus Umfragen und den letzten Wahlen heraus wissen wir in etwa, dass die knappe Hälfte der Bevölkerung für die Unabhängigkeit ist. Wir sind uns sicher, dass es vor ein paar Jahren mit einem “Nein” zur Unabhängigkeit geendet hätte. Dieser Tage glauben wir, dass die Gegner nur noch knapp in der Überzahl sind.

Währenddessen spitzt sich die Lage zu. Die spanische Regierung will das Referendum mit aller Macht verhindern. Das einzige Argument, was hier ankommt, ist: Es verstößt gegen die Verfassung und darf daher nicht stattfinden. Die starre Haltung von Rajoy bringt viele Menschen hier auf. Hat die spanische Regierung keine anderen Argumente, warum wir das Referendum nicht durchführen sollten? Gibt es keinen anderen Grund, ein Teil Spaniens zu bleiben, als eine veraltete Verfassung? Jetzt erst Recht! sagen sie sich. Das Referendum wird weiter vorbereitet, Wahlzettel werden gedruckt, Wahllokale ausgewiesen. Die Polizei macht sich auf die Suche nach den Wahlzetteln, begleitet vom höhnischen Gesang der Menge: “Dónde están les paperetes?” (Wo sind die Papierchen?). Diese aufmüpfigen Katalanen!

Als wir eines Nachmittags mit den Babies spazieren gehen, treffen wir auf eine Freundin und ihre Mutter. Gemeinsam gehen wir mit ihnen zum Rathaus, dort gibt es eine kleine Demo. “Volem votar” rufen die Demonstranten – sie wollen, dass der Bürgermeister die Schulen offiziell als Wahllokale zur Verfügung stellt.

Lärmdemo auf katalanisch: Nachts klappern die Töpfe

Am 20. September kippt die Stimmung: 14 katalanische Politiker werden festgenommen. In Barcelona wird demonstriert. Als es Abend wird, streben immer mehr Menschen dorthin. “Das ist Unterdrückung! Wir wollen doch nur wählen!” Viele können kaum glauben, dass die spanische Regierung solche Maßnahmen ergreift.

Als ich die Babies abends ins Bett bringe, fängt es in unserer Straße an zu klimpern und zu klappern. Was ist das denn jetzt? Das ist eine cacerolada, erklärt mir der Mann und schliesst die Fenster. Mit Töpfen und Deckeln bewaffnet stellen sich die Nachbarn von nun an jeden Abend um zehn auf ihre Balkons und klappern damit eine Viertelstunde lang aus Protest gegen die Festnahmen. Das ganze wirkt etwas gespenstisch in der ansonsten ruhigen Stadt. Die Babies lässt es ungerührt. Klingt so eine Revolution?

Das Referendum

Die letzten Tage sind geprägt von großer Unsicherheit. Eine Bekannte hat ihren Kindern neue Ausweise machen lassen, höre ich. Auf die lachend gestellte Frage, ob sie die braucht, um im Zweifel abhauen zu können, kommt nur ein ernster Blick. Als ich das erzählt bekomme, müssen meine Freundin und ich schon fast wieder lachen. Das es so weit kommt, ist unvorstellbar. Aber die Angst der einen steckt die nächste Mutter an. Alle sind wir unsicher. Jede Unterhaltung dreht sich um das Referendum. Wie weit wird die spanische Regierung gehen, um es zu verhindern? Wir schwanken zwischen Zuversicht und Besorgnis, ungläubigem Lachen und Ernst: “Ich habe schonmal vollgetankt, Benzin ist ja bekanntlich das erste, was ausgeht.” wird gewitzelt. Ein großes “was, wenn doch?” hängt in der Luft.

Bei uns hat sich Besuch angekündigt, allerdings überlegen meine Freundin und ihr Mann jetzt ernsthaft, nicht zu kommen. Sie wollen abwarten, wie das mit dem Referendum ausgeht und dann entscheiden.

Die spanische Regierung chartert zwei Kreuzschiffe, um die nach Katalonien entsendeten Kräfte der Guardia Civil (die spanische Militärpolizei) dort unterzubringen. Wie ein Mahnmal liegen die beiden riesigen Schiffe im Hafen von Barcelona. Für einen kleinen Lacher am Rande sorgt der riesige Tweety (zu spanisch Piulín), der eines der Kreuzschiffe ziert.

In der Nacht vor dem Referendum finden in vielen Schulen Kinderaktionen und Leseabende statt. Ganze Familien harren in friedlichem Protest dort aus, um zu verhindern, dass die Polizei die als Wahllokale bestimmten Gebäude verschließt. Morgens um acht werden unter Jubel die vielgesuchten Wahlurnen gebracht. Sie sind schon Wochen vorher versteckt worden, in Lagerhallen oder bei Privatpersonen.

Wir sind seid sieben Uhr auf den Beinen, nach dem ersten Babyquaken am morgen hält uns die Aufregung wach. Wie wird dieser Tag wohl ausgehen? Auf twitter und im Fernsehen verfolgen wir den Wahlverlauf. Schon haben sich lange Schlagen vor den Wahllokalen gebildet. Über WhatsApp bekommen wir Wahlselfies. Ich telefoniere mit meiner Mutter, die sich ausnahmsweise mal überhaupt keine Sorgen macht. Wird schon alles, Kind.

Eine Freundin ist zu Besuch, wir schauen Nachrichten. Die spanische Guardia Civil geht hart gegen die Wähler vor, die Bilder von den prügelnden Polizisten gehen um die Welt. Die katalanische Regierung bittet die Bürger, ruhig zu bleiben und weiter wählen zu gehen. Alles soll friedlich ablaufen. Die Schläger, das sind die anderen.

Unsere Freunde, die schon vor den Wahllokalen Schlange stehen, sind nervös. Die Schlangen werden immer länger. Das Computersystem mit dem Wählerverzeichnis wird attackiert, darum gibt es immer wieder Wartezeiten. Per WhatsApp machen Gerüchte und Lageberichte die Runde: “Die Guardia Civil steht mit 60 Bussen am Hafen!” Eine Freundin stand vor drei verschiedenen Wahllokalen, die nacheinander geschlossen wurden, bis sie eins fand, wo sie endlich wählen konnte. Einige fahren in den Nachbarort, in der Hoffnung, dass sie dort nicht so lange warten müssen.

Der Mann und seine Schwester gehen wählen und sind nach zwei Stunden zurück. Die Wahlhelfer baten sie, noch eine Weile zu bleiben, aus Angst vor der Polizei. Wir machen den Fernseher aus und spielen mit den Babies. Als wir später spazieren gehen, sehen wir am Hafen kein einziges Polizeiauto.

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