Meer und große Steine

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Zucker und Achtsamkeit.

Mein Insulin ist alle. Einfach so. Eines Samstagnachmittags wurde ich als (augenscheinlich) gesunder Mensch ins Krankenhaus eingewiesen und drei Tage später mit der Diagnose Diabetes Typ 1 und Insulin im Gepäck wieder entlassen.

Achtsamkeit?

Eigentlich bin ich nicht so ein Achtsamkeits-Wesen. Eigentlich mag ich das Wort auch überhaupt nicht. Aber. Vor der Diagnose habe ich versucht, meinen Zustand mit Achtsamkeit zu bekämpfen. Müde? Wir alle sind müde, ist ja Pandemie. Ich kann mich nicht konzentrieren? Stress, viel Arbeit, Ausnahmesituation, Heimweh. Meine Augen wurden schlechter? Das ist bestimmt die viele Bildschirmarbeit, ständig am Rechner, trockene Augen…So habe ich mich eine geraume Weile dahingeschleppt und gedacht, Du brauchst eine Pause, musst früher ins Bett gehen, achtsamer sein, mal wieder deine Therapeutin anrufen, Sport machen. Mach noch dieses Projekt fertig und halte ein bisschen durch, dann. Dann!

Dann kam der Tag, an dem ich nach einem kleinen Bier am Abend einen seltsamen Kater hatte. Bleischwere Beine, noch mehr Müdigkeit und ein bisschen Kopfweh. Ich bin nichts mehr gewohnt, denke ich mir. Zum Kindergeburtstag einen Tag später gibt es Sekt und Kuchen. Und schon wieder fühle ich mich schlapp und erschöpft. Natürlich, schließlich habe ich noch bis ein Uhr nachts gebacken. Und überhaupt, siehe oben.

Nach Kuchen und Sekt sitze ich mit den Kindern im Arm auf dem Sofa und die Müdigkeit rollt in Wellen über mich hinweg. Als würde das Bewusstsein sich zurückziehen wollen. Ein seltsamer Sog, dem ich nicht nachgeben will. Ich kämpfe dagegen an, ziehe mich vom Sofa hoch und trinke zwei Gläser Wasser auf ex. Und da machte es auf einmal Klick im Kopf.

Von meiner Schwangerschaftsdiabetes habe ich noch das Messgerät, also schleppe ich mich ins Bad und messe: “H1”? Eine Fehlermeldung? Ich messe noch einmal, zweimal, dreimal (mit immer demselben Ergebnis) und suche mir dann im Internet die Bedienungsanleitung von dem Gerät heraus. “H1” ist keine Fehlermeldung – der Blutzucker hat den Messbereich des Gerätes überschritten. Rufen Sie ihren Arzt an, steht da. Also wähle ich die Nummer meiner Lieblingshotline in Spanien, die 061. Dort kann man mit einem Arzt sprechen, der einem dann sagt, ob man ein Fall für die Notaufnahme ist, oder sich einen Termin beim Hausarzt machen soll. Mir kommt es zwar übertrieben vor, da anzurufen, aber wissen will ich es doch. Zehn Minuten später steht der Rettungswagen vor der Tür.

Wie das in so leicht surrealen Situationen ist, habe ich vorbildlich meine Tasche mit Ladekabel, eBook Reader und allerlei Kram gepackt und komme dem irritierten Sanitäter auf der Straße entgegen. Schnell verabschiede ich mich von den Kindern und bin mir sicher, am späten Abend wieder zuhause zu sein.

Stattdessen bekomme ich in der Notaufnahme sofort mehrere Zugänge gelegt, haufenweise Blut abgenommen und hänge drei Tage am Tropf. Mein Blutzucker war bei Ankunft 750mg/dL, also viel zu hoch (normalerweise hat man so um die 100). Die Diagnose ist eindeutig, man müsse noch Tests machen, aber erstmal den Blutzucker wieder in annehmbare Bereiche bringen. Nix Achtsamkeit.

Zucker.

Diabetes Typ 1 ist eine Autoimmunerkrankung, bei der diejenigen Zellen in der Bauchspeicheldrüse zerstört werden, die das Insulin bilden. Behandeln kann man das nur, indem man Insulin von außen zuführt, also spritzen (im Gegensatz zu Diabetes Typ 2, wo man mit Ernährungsumstellung viel wettmachen kann). Das bedeutet: Insulin ist für mich lebenswichtig und wird mich von nun an für immer begleiten.

Noch im Krankenhaus versicherte mir jeder: “Man kann damit gut leben!”. Ich würde sagen, jein. Im Vergleich zu anderen chronischen Krankheiten wohl schon. Im Vergleich zu meinem vorherigen Leben ist es ein tiefer Einschnitt.

Nach der Diagnose war ich zunächst erleichtert: Endlich ging es mir wieder gut! Die Müdigkeit der letzten Wochen war verschwunden, ich war voller Energie und froh zu wissen, was los war. Schnell las ich mich schlau, stöberte im Internet und versuchte meinen Blutzucker zu optimieren. Dank diesem Schwung habe viel über Ernährung und meinen Stoffwechsel gelernt und meine ersten Monate als Diabetikerin gut hinter mich gebracht.

Jetzt ist aber die Luft etwas raus. Es ist ein nerviger, umständlicher, blöder Zustand. Weil ich mich jeden Tag neu damit auseinandersetzen muss. Kohlehydrate schätzen, Insulin spritzen, Essen. Schauen, was der Blutzucker mit dieser oder jener Zutat macht. Bisher hatte ich immer das Glück gehabt, mich nie mit Essen beschäftigen zu müssen, mein Gewicht war immer ok, mal ging es fünf Kilo rauf, mal runter, ich habe gegessen wie und was ich wollte. Jetzt lese ich das Kleingedruckte auf Lebensmittel-Verpackungen, wiege mein Essen ab (so gut kann ich noch nicht Kohlehydrate schätzen) und vermeide Blutzucker-Bomben. Und selbst dann klappt es nicht immer so, wie es soll, und das ist frustrierend.

Was zu Hause gut funktioniert, wird auf Reisen (zuletzt in Deutschland) gleich schwieriger. Da trifft dann fehlende Flexibilität auf gut ausgestattete Bäckereien, Döner und Lieblingsessen mit Heimatgefühl. Es ist mühsam, so viel über Essen nachzudenken. Es ist nervig, ständig einen Beutel mit Insulin, Traubenzucker, Messgerät mitzuschleppen. Es überwältigt mich, wenn ich daran denke, dass das ein dauerhafter Zustand sein wird, ein “für immer”, ein ewiges auf medizinische Hilfe angewiesen sein.

Das muss ich mir nicht schönreden und nichts für mich draus lernen. Das muss ich einfach akzeptieren (und das kann ich auch ganz gut). Das habe ich jetzt, ob ich es blöd finde oder nicht.

Hadern tue ich dennoch nicht damit. Mir ist auch egal, woran genau es liegt – ändern wird es an dem Zustand ja nichts. Es geht alles weiter, irgendwie, dann jetzt eben mit Zusatz im Gepäck. Es gibt, zum Glück, wichtigeres.


P.S. Meine Diabetes-Links:
Über Diabetes:
https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/Diabetes-Typ-1-erkennen-und-behandeln,diabetes254.html
Rezepte:
https://www.ndr.de/ratgeber/kochen/rezepte/rezeptdb224.html
Wissen:
https://diatribe.org/get-revolutionary-diabetes-book-here-bright-spots-landmines
https://zuckerjunkies.com/
https://www.blood-sugar-lounge.de/

Mittwoch

Heute habe ich viel Zeit damit verbracht WP-Themes auszuprobieren, aber irgendwas ist ja immer, also bleibt es erstmal dabei. Ansonsten verging der Tag mit viel Arbeit am Computer, die Kinder waren den ganzen Tag mit den Yayos unterwegs und sonst ist nicht viel passiert.

Unsere Putzhilfe war da und alles ist so wunderschön sauber, ich bin ihr dankbar und sehr froh, dass wir uns das gerade leisten können.

Die Zeitumstellung macht uns zu schaffen, wir kommen alle schlecht aus dem Bett morgens. Mein guter Vorsatz, konsequent die Stunde früher aufzustehen, hat bisher nicht geklappt, vielleicht morgen. Wie jedes Jahr bin ich genervt davon, wo doch in Spanien eh schon nicht die “richtige” Zeit herrscht – eigentlich läuft der Greenwich-Meridian genau hier durch und wir müssten wie Großbritannien oder Portugal noch eine Stunde früher dran sein als in Deutschland. In Winterzeit plus Greenwich-Zeit wäre es also erst 21:10 und so gesehen sind wir ja rechte Frühaufsteher, wenn wir in “Echtzeit” sechs Uhr aufstehen, auch wenn die Uhr uns im Sommer acht anzeigt. So tröste ich mich über meine Schläfrigkeit hinweg. Der Gedanke ist auch eine gute Erklärung dafür, warum in Spanien tendenziell später gegessen wird, Schule fängt meist auch erst um neun Uhr an und so weiter. Das ganze Land ist also um eine Stunde verschoben. Ausgedacht hat sich das der Herr Franco, der gerne die deutsche Zeit haben wollte, das könnte man meiner Meinung nach auch einfach mal wieder abschaffen.

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