Meer und große Steine

Kategorie: Corona

Tag zwei in Quarantäne

Ich habe lange geschlafen und habe dann noch ein bisschen im Bett gelegen, bin aber spät eingeschlafen. Mein Mann stellt mir Frühstück vor die Tür, die Kinder stehen hinten im Flur und linsen herein und winken.

Im Schlafzimmer habe ich einen Kissenbezug mit Wäsche gefüllt, er ist eigentlich schon voll, nach einem Tag: Muss man jetzt wirklich alles waschen? Pyjama, Anziehsachen? Bettwäsche? Kann man sich darüber irgendwie vermehrt infizieren, die Viruslast erhöhen? Oder sind das reine Vorsichtsmaßnahmen? Ich packe meinen Pyjama und die Sachen von gestern dazu.

Nach dem Duschen wische ich nochmal ein bisschen alles mit Desinfektionsmittel ab, auch wenn ich das Bad alleine benutze.

Dann gehe ich ins Arbeitszimmer, schaue nebenbei Dokumentationen und dann bringen der Mann und die Kinder mir das Essen, die Kinder winken und freuen sich mich zu sehen. Dreieinhalb Jahre alt, aber sie verstehen alles sehr genau. “Mama, Tür zu”, sagt Petita und ich nehme den Teller und setze mich zum Essen. Eigentlich ist mir ein bisschen schlecht. Ist das jetzt wieder ein Symptom oder kommt da die Angst hochgekrochen? Ansonsten merke ich nichts. Zweimal am Tag soll ich mit einer App einen “Symptome”-Test machen:
Fieber? Husten? Schwierigkeit zu Atmen? Allgemeines Unwohlsein? Übelkeit/Erbrechen/Durchfall? Geschmacksverlust?

Infos zur Quarantäne sind per SMS und als PDF gekommen, angerufen wurde ich nicht. Gestern habe ich eine Hotline angerufen und gefragt, ob nicht die negativ getestete Restfamilie irgendwo anders unterkommen kann, aber nein (war ja auch eigentlich klar). Wie es so oft gefordert wird, würde es so viel Sinn ergeben, für so einen Fall die leerstehenden Hotels zur Verfügung zu stellen. Machen die das nicht in einigen asiatischen Ländern so?

Unsere Freunde bringen ein Paket Masken vorbei. Wir brauchen Nachschub. Und auch noch so viel anderes Zeugs, die Liste in meinem Kopf wird immer länger.

Durch die geschlossene Tür höre ich die Kinder abwechselnd spielen, lachen und weinen. Mein Mann ist angespannt und es fällt mir schwer, nicht einfach rauszugehen und ihm zu helfen, mit allem. Sich im eigenen Haus zu isolieren ist seltsam, da zu sein und doch nichts tun zu können.

Der Himmel ist blau.

Positiv/Negativ

Vor zwei Tagen mussten wir mal wieder eine PCR machen lassen. Stäbchen in die Nase und in den Rachen, fies fies. Nummer drei für meine Petita, Nummer zwei für Juni, mich und meinen Mann.

Die “Erkältung” der Nachbarin hat sich als Corona-Infektion entpuppt. Ausgerechnet einen Tag vorher war die ganze Familie bei uns gewesen, die Kinder haben getobt und gespielt (und alles angefasst). Ich habe mich schon leicht paranoid gefühlt, weil ich alle Fenster aufgerissen und so gut es ging auf Abstand geachtet habe, aber nunja, Masken hatte keiner von uns auf.

Wir treffen uns sowieso nur mit diesen Nachbarn und einer anderen Familie, aber genau das ist ja das Problem, es wird vertrauter und doch habe ich nicht genug Mumm, die Nachbarn beim ersten Hüsteln raus zu schmeissen. Es ist so schwierig in diesen Situationen, eigentlich sollte die Pandemie-Etikette sein, bei dem leisesten Anzeichen zu Hause zu bleiben (und nicht zu klingeln und die Kinder mitzubringen). Jetzt haben wir den Salat.

Nach einem Tag voller Bangen und einer großen Putzaktion meinerseits haben wir heute unsere Ergebnisse bekommen: Von drei Familien, mit denen die Nachbarn in Kontakt waren, sind alle negativ getestet worden – bis auf mich. Die Nachbarsfamilie ist gesammelt positiv. Zwei Schulklassen und drei Familien sind damit in Quarantäne geschickt worden, etwa 53 Menschen. Wegen einem kleinen “Schnupfen”.

Meinem Mann war das Ergebnis heute nicht geheuer, also haben wir noch privat einen Schnelltest machen lassen. Wieso haben er und die Kinder nichts und ich schon? Also nochmal den palo in die Nase, unter Protest und Weinen beider Kinder und zwanzig Minuten warten. Und siehe da, alle negativ. Öh? Tja, kann sein. So ein Antigentest ist nicht so sensibel wie eine PCR und kann negativ ausfallen, wenn wenig Viruslast vorhanden ist. Direkt nochmal bei Drosten nachgehört und ja nun. Schrödingers Infizierte…Ich habe jetzt ein “Zertifikat” von der privaten Praxis, dass ich kein Corona habe und eine PCR-Analyse mit positivem Ergebnis. Da letzteres aber das ist, was uns verpflichtend nach Hause bannt, ändert sich nichts an der Situation.

Aber für mich ist es schön zu wissen, dass ich die Kinder nicht letzte Nacht angesteckt habe, als ich bei ihnen im Bett mit eingeschlafen bin. Und es gibt ja auch ein bisschen Hoffnung, wenn die Viruslast nicht so hoch ist, wird es ja vielleicht auch mild verlaufen? Oder ist das schlimmste schon vorbei? Hatte ich vielleicht schon viel früher eine Infektion, die ich nicht richtig bemerkt habe? Soll ich mich jetzt nochmal Testen lassen in ein paar Tagen, um sicher zu gehen?

Habe ich Symptome? Hatte ich Symptome? War da ein leichter Kopfschmerz? Und dieses Kratzen im Hals letzte Woche? Ich lausche in mich hinein und höre auf meinen Atem.

So oder so: Ab heute muss ich mich zehn Tage in einem Zimmer isolieren. Alles muss ständig gewaschen werden, alles soll gewischt und desinfiziert werden, jeden Tag neue Handtücher, neue Anziehsachen – die Wäscheberge sind jetzt schon riesig. Solange wir keine Sicherheit haben, betrachte ich mich als positiv und tendenziell ansteckend.

Zehn Tage, wo mein Mann und die Kinder ohne Hilfe auskommen müssen. Zum Glück sind wir schon im neuen Haus und haben zwei Bäder und genug Platz für alle. Zum Glück haben wir liebe Menschen um uns herum. Eine Freundin hat den Kindern Glitzertattoos in den Briefkasten gelegt (danke, L!) und geht für uns einkaufen. Meine Jobs sind gerade zum Glück alle an einem guten Punkt und ich kann eine Pause machen, zumindest übers Wochenende, bis wir sehen, wie alles läuft und wie es mir geht.

Jetzt müssen wir nur noch diese ganze Zeit herum bekommen.

Achterbahn

Eigentlich fehlen mir die Worte und dann sprudelt es aus mir heraus, sobald jemand fragt, wie es uns geht. So viel ist passiert. Die Ausgangssperre. Sechs Wochen in der kleinen Wohnung mit den dreijährigen Zwillingen. Das abendliche Klatschen. Der Blick auf das Altenheim gegenüber und die Pflegerinnen, die uns Mut zuriefen. Der Geburtstag von meinem Freund, der Kindergeburtstag mitten in der Ausgangssperre. Das bedrückende Gefühl, als ich das erste Mal wieder draußen war, in einer neuen Welt voller Masken, mit Schlangen vor den Geschäften und Menschen mit Angst in den Augen. Und trotz allem auch lustige Momente, dank der Kinder, für die Kinder. Und trotz allem schöne Momente, surreal und hoffnungsvoll. Als alles stillstand und auf den Straßen kein Auto fuhr. Wie die Flugzeuge ausblieben. Eine Pause von allem. Delfine vor der Küste, Wildschweine in den Straßen und Vogelgezwitscher.

Und irgendwann hing uns der Blick auf die Häuser ringsherum zum Halse heraus und die Elster in der Pinie hatte ihr Nest verlassen. Das Klatschen wurde jeden Abend weniger und hörte irgendwann auf, am letzten Tag sollten alle noch einmal kommen, ein Abschlussklatschen sozusagen, aber die Motivation war dahin.

Die Kinder. Jede Woche haben wir das Kinderzimmer umgeräumt, wir haben alle Mehl- und Matsch-Ideen durchprobiert, wir haben getanzt und zuviel ferngesehen, auf unserem kleinen Balkon den Boden bemalt und den Großeltern zugewunken und Schokoladenkuchen gebacken zum Geburtstag. Ein paar Mal haben wir uns ein leckeres Essen vom Thailänder bestellt. Es kamen Pakete zum Geburtstag mit bunten kleinen Sachen und Badespaß, ein fröhlicher Gruß aus einer anderen Welt.

Die Erzieherinnen aus dem Kindergarten schicken Videos mit Geschichten und Liedern und in der Eltern-Whatsapp-Gruppe schickten die Kinder kleine Videobotschaften. Alles war so plötzlich vorbei, dass die Kinder sich garnicht mehr von ihren Freunden verabschieden konnten. Petita erklärte, sie würde alle Kinder umarmen und küssen, wenn sie sie wiedersähe. Und ein großes Fest machen und alle alle einladen. Was für ein Glück, das die zwei sich noch hatten. Endlich mal ein wahrer Vorteil für Zwillinge.

An manchen Abenden bin ich nochmal aufgestanden und habe mich mit meinen Freundinnen zusammengerufen. Wir haben geredet bis spät nachts, bitter gelacht und Wein dazu getrunken.

Dazwischen versucht zu arbeiten, sich irgendwie zu konzentrieren und ein Stück Alltag zu haben. Mit den Kollegen in Deutschland zu sprechen, für die alles so anders war und die ich um die geöffneten Spielplätze beneidet habe, um die Spaziergänge und die Zwei-Personen-Regel. Zoom wird ein Fenster in eine andere Welt, so anders erleben meine Familie und Freunde und Kollegen das alles. “Wieso ist es hier so schlimm und in Deutschland nicht?” rätseln wir in Spanien. Und wir finden tausend mögliche Gründe. “Wir sprechen lauter!” “Wir leben mehr in den Familienverbänden”. Ich sehe vor allem ein politisches Versagen, eine zu langsame Reaktion – fast schon negieren – von dem, was da auf uns zukam.

Und in unserer kleinen Stadt wurde das Hotel umgenutzt zur Krankenstation, die Intensivstation vergrößert. Und wir warteten darauf, dass die Kinder endlich raus dürften.

Ein paar Monate später, als wir schon wieder durch die Innenstadt spazieren konnten, trafen wir eine Freundin, eine Lehrerin, die erzählte, wie sie geweint hat darüber. Die Kinder zwei Monate einzusperren. Und dann das Lästern, als sie endlich wieder rausdurften: “Guckt mal, wie schlecht die das machen!, die halten ja gar keinen Abstand…”

Was für ein trauriger Anblick das war mit den leeren Straßen ohne Kinder. Als wir den ersten Tag draußen waren, stand ein kleines Mädchen am Balkon und rief: “Papa, Papa, da sind noch mehr Kinder!” Als hätte sie vergessen, dass sie nicht das einzige Kind auf der Welt war.

Und die Alten. Im Altenheim uns gegenüber eingesperrt, für Monate. Der Alarmzustand war schon längst vorbei und noch immer durften sie nicht raus und niemand durfte rein. Meine Schwiegeroma lag dort drin. Irgendwann durften wir uns vor die Tür stellen, zum winken. Der Sohn und die Tochter konnten erst zu ihr, als sie im Sterben lag, um sich zu verabschieden. Immerhin das, aber ach…so behandelt ein Land seine Alten und Kinder?

Und dann wurde unser Haus einzugsfertig und wir konnten endlich die kleine Wohnung verlassen. Was für ein schöner Moment, um umzuziehen und sich neu einzurichten. Wir hatten so Sorge, dass wir es nicht bis zur nächsten Ausgangssperre schaffen und hatten noch genug vom Sommer übrig, um es uns auf der Terrasse schön zu machen und den Strand zu genießen.

Bis hierhin.

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