Meer und große Steine

Monat: März 2019

Plötzlich ausgewandert

Beim letzten Deutschlandbesuch fragte meine Cousine: “Und wie ist das so, Du bist ja jetzt ausgewandert?” “Jetzt bin ich die Ausländerin.” antwortete ich. Viel mehr fiel mir nicht ein. Das Gefühl, in einem anderen Land zu leben, lässt sich schwer in Worte fassen. Und sich einzugestehen, dass man vielleicht nie zurückkommt, ist nicht weniger schwierig. Als wir damals nach Spanien gezogen sind, war es ja zunächst nur ein Versuch. Wir hatten einige Jahre in Berlin gelebt und immer wieder tauchte das Thema auf: “Wollen wir irgendwann mal in Spanien leben?” Und wenn ja, wann?

Jetzt oder nie!

So kamen wir an den Punkt, zu sagen: Jetzt oder nie! Einen richtigen Zeitpunkt würden wir sowieso nie finden. Die Familienplanung hatten wir auch schon im Hinterkopf (damals wussten wir noch nicht, dass das nicht ganz so einfach werden würde) und der Gedanke, Kinder in Berlin zu bekommen, gefiel mir ganz und gar nicht. Ich mag Berlin, aber es ist für mich kein Ort, an dem ich meine Kinder großziehen möchte. Umso idyllischer war das Bild von einem kleinen spanischen Küstenort mit Strand und Meer und viel Sonne! Aber zunächst war das Thema Kinder für uns ziemlich weit entfernt, der Umzug und der Neuanfang in einem mir fremden Land standen im Vordergrund.

Also packten wir Kisten um Kisten, verkauften die meisten unserer Möbel und brachen eines Tages auf. So oft wir vorher in Spanien gewesen waren: diese Ankunft fühlte sich vollkommen anders an. Bis wir eine Wohnung fanden, wohnten wir in einer kleinen Ein-Zimmer-Wohnung von Freunden im Herzen von Barcelona. Noch war es ein bißchen wie Urlaub: Die Spaziergänge durch Barcelona, die fremde Wohnung, die Reisekoffer mit den nötigsten Sachen.

Dazwischen besichtigten wir Wohnungen. Vom ehemaligen Kosmetikstudio mit Milchglastüren und Dusche im “Wohnzimmer” bis hin zur Jugendstil-Altbauwohnung mit geschnitzten Blütenblättern im Türrahmen und Göttinnenstatue im Eingangsbereich war alles dabei. Der Wohnungsmarkt war (und ist immer noch) heiß umkämpft und die Makler drängten einen geradezu, sich sofort zu entscheiden. Niemand sagte “Schlaf nochmal drüber!” Hier hat man am besten schon die Maklerprovision bei der Besichtigung dabei, damit einem niemand die Wohnung unter der Nase wegschnappt.

Unsere erste Wohnung bekamen wir nur, weil wir gleich nach dem Besichtigungstermin zur Bank gingen und am Nachmittag Geld im Maklerbüro hinterlegten, “zum reservieren”. Würden wir uns anders entscheiden, wäre das Geld futsch gewesen. So ein Stress! Was, wenn wir in der Zwischenzeit eine schönere Wohnung finden würden? Wie war der Boden nochmal – war der nicht irgendwie häßlich gewesen? Ausgerechnet bei dieser Wohnung hatte ich kein einziges Foto gemacht! Und die Möbel sollten alle da drin bleiben? Und überhaupt, was war das für eine irre Idee, auf einmal in ein anderes Land zu gehen und dort einen Mietvertrag zu unterschreiben? War ich jetzt schon wirklich, richtig ausgewandert?

In solchen Momenten fliegt die Zeit. Keine Innehalten, kein Überdenken, wofür? – man ist ja schon längst da, die Spedition ist unterwegs, die alte Wohnung in Deutschland längst vermietet. Also haben wir den Mietvertrag unterschrieben und bald darauf die ersten Kisten ausgepackt. Haben erleichtert festgestellt, dass der Boden doch schönes Parkett ist und kein Imitat. Haben uns im neuen Leben eingerichtet: Da ist das Meer, da ist der kleine Laden um die Ecke mit dem guten Brot und der netten Besitzerin, das ist die Nachbarin auf dem Balkon, da ist der Supermarkt. Dabei bin ich in Gedanken an frühere Urlaube versunken. Diese verschlafenen kleinen Örtchen, durch die man manchmal kam und ein “zu verkaufen”-Schild sahst und dachtest: Was wäre wenn? Oder wenn man schon so lange an einem Ort war, dass man alle Wege kannte, “sein” Café hatte, seine Urlaubsroutine und Lieblingsorte und sich fragte: Was, wenn ich bleibe? So fühlte sich das Ankommen an.

Bleiben, wenn der Sommer vorbei ist

Der Winter kam und der Strand war leer und windig. Die Chiringuitos (die Strandbars) wurden abgebaut. Die Wellen schlugen höher und fraßen ein Stück vom Land. Die Bars und Plätze blieben leer. Man muss arbeiten, man hat seine Routinen, man muss einkaufen, man hat nicht viel Geld. Der Sommer ist für alle vorbei, nicht nur für die Touristen.

“Gehst Du oft ans Meer?” fragen mich die Freunde in Deutschland. “Nein”, sagte ich, “ich sitze viele Stunden am Tag am Computer und manchmal treffen wir Freunde und manchmal schauen wir einen Film oder wir gehen essen. Aber es ist immer da, das Meer, hinter dieser Straßenecke.”

“Geht ihr jeden Tag in den Wald? Fahrt ihr jeden Tag an den See?” brauche ich nicht zu fragen, denn ich weiß, ihr sitzt viele Stunden am Tag am Computer und manchmal trefft ihr Freunde und manchmal schaut ihr einen Film oder geht essen. So ist das, wenn man auswandert, man lebt dort einfach, in einem anderen Land.

So oft war ich schon umgezogen und hatte mir neue Städte erobert, dass ich wusste, ich muss nur warten. Irgendwann hat man Freunde, kennt man die Frau von der Gemüsetheke und hat seine eigene Karte von der Stadt im Kopf. Und dann ist man, ganz ohne es zu merken, angekommen.

Ankommen, aber wie?

Zugegebenermaßen war und ist es diesmal schwieriger. Die Tragweite meiner Entscheidung hat es mir nicht leicht gemacht, das neue Leben einfach zu genießen – schließlich bin ich nicht für unverbindliches Auslandssemester hergekommen. Und so ist jeder Moment des Ankommens hier immer auch ein erneuter Abschied. Ich sehe meine Kinder aufwachsen und verabschiede mich von der Idee, gemeinsam mit der besten Freundin tagtäglich am Spielplatz zu sitzen. Ich begrüße den strahlend blauen Himmel und verabschiede mich von rotem Herbstlaub und dem Frühlingserwachen. Ich finde neue Freunde und sehe deren Kindern langsam beim Wachsen zu, während meine Nichten und Neffen in Halbjahres-Sprüngen rasend schnell größer werden. Ich entscheide mich für einen Flug nach Berlin, kann dafür aber meine Familie nicht besuchen.

Die meiste Zeit lebe ich ganz einfach. Genieße die Sonne. Sehe die Kinder am Strand laufen und lasse mir den Winterwind um die Nase pusten. Freue mich über neue Bekanntschaften, über die leckeren Tomatensorten und die frühen Erdbeeren. Es gibt so viele tolle Feste und Feiern, die auf ihre ganz besondere Art und Weise gefeiert werden. Oft vergesse ich ganz, dass ich so einen großen Schritt gemacht habe. Mal bin ich noch Zuschauer, mal mache ich mit.

Dann muss ich an die Einwanderer in Deutschland denken und die Diskussion um Integration und Leitkultur. Seit ich selber in einem anderen Land lebe, frage ich mich: Was genau soll man denn auch machen? Was muss ich dafür tun? Die Sprache sprechen? Die Gebräuche übernehmen? Die eigenen Wurzeln über Bord werfen? Sich eingestehen, dass man vielleicht niemals zurück kommt und selbst wenn, sich vielleicht zu sehr verändert hat?

Egal was ich mache, wie gut ich die Sprache spreche und wie unauffällig ich mich verhalte: Ich werde immer die Deutsche sein. Das einzige was ich tun kann, ist mein Leben ganz für mich zu leben, so wie es mir gefällt. Das kann ich an jedem Ort der Welt tun. Aber wenn ich das schaffe, dann bin ich wohl “angekommen”, in meinem Leben.

Das liebe Geld

Kindergeld, Elternzeit – man lässt sich als Auswandererin ganz schön viel durch die Lappen gehen. Je länger ich in Spanien lebe, desto wundersamer kommen mir all die deutschen staatlichen Geldquellen vor, die es für Familien gibt. 300 Euro pauschal aufs Elterngeld bei Zwillingen? Wow! Baukindergeld? Wahnsinn! Und überhaupt, insgesamt 14 Monate Elternzeit? Unglaublich, wenn man bedenkt, dass frau hier nach vier Monaten wieder arbeiten gehen muss, wenn sie nicht auf ihren Job und die dazugehörigen Einkünfte verzichten kann.

Kinder muss man sich leisten können

Und die spanischen Väter? Bekommen erst seit kurzem einen ganzen Monat frei – früher gab es nur zwei Wochen Vaterzeit. Die vier Monate Mutterschutz kann man gnädigerweise sogar zwischen beiden Elternteilen aufteilen – aber wie realistisch ist es bitte, als Mutter eines dreimonatigen Kindes wieder arbeiten zu gehen, währen der Mann noch einen Monat mit dem Säugling zu Hause bleibt? Immerhin: Für Zwillingseltern gibt es auch in Spanien nochmal eine pauschale Einmalzahlung von etwa 2000 Euro. Dazu bekommt man als arbeitende Mutter drei Jahre lang 100 Euro pro Kind und Monat. Danach war es das. Kein Kindergeld weit und breit, dafür Kindergarten- und Schulgebühren. Und das Studium muss später auch bezahlt werden! Dass Spanien eine ziemlich niedrige Geburtenrate hat, muss ich wohl nicht erwähnen? In Spanien muss man sich Kinder leisten können.

Überhaupt: Dass man hier für Bildung bezahlen muss, ärgert mich sehr. Es gibt einerseits staatliche Schulen, Unis und Kindergärten, für die man einen festen Preis bezahlt. Dazu gibt es noch teure private und weniger teure halb-private Schulen. Viele Eltern versuchen ihre Kinder auf halb-private Schulen zu schicken (colegios concertados), weil sie überzeugt sind, das Lehrniveau sei dort höher. Wer sich eine Privatschule leisten kann, schickt seine Kinder dorthin. Dann gibt es noch einige Eltern, die ihre Kinder aus Überzeugung auf öffentliche Schulen schicken – wegen der Realitätsnähe oder um das Schulsystem zu fördern.

Ein Platz im Kindergarten ist sicher!

Unsere Kinder sind in einem öffentlichen Kindergarten, der uns pro Kind mit Mittagessen etwa 350 Euro kostet. Die Erzieherinnen sind allesamt liebevoll und nett und den beiden gefällt es dort. Die Räume sind nicht besonders geschmückt und eher nüchtern, aber immer jahreszeitlich dekoriert. Außerdem lassen sich die Erzieherinnen oft etwas einfallen: Mal hängen Stoffbahnen von der Decke, in denen sich die Kinder verstecken können, mal gibt es Tobe-Spielwiesen oder Fühlkisten. Uns reicht das. Auf dem Weg zu unserem Kindergarten kommen wir an einem privaten vorbei. Ein Blick in den Eingangsbereich zeigt: Hier sieht es komplett anders aus! Alle Räume sind thematisch wie ein kleines weißes Holzhäuschen dekoriert, inklusive einem kleinen weißgestrichenen Lattenzaun. Es ist bunt und verspielt und alles irgendwie niedlich. So in etwa stelle ich mir den Unterschied zwischen privaten und öffentlich Schulen auch vor: Vor allem materiell wird in privaten Einrichtungen mehr geboten. Das Niveau, bin ich mir sicher, hängt wie überall von den jeweiligen Lehrern ab.

Was hier dafür besonders gut klappt: man bekommt wirklich schnell und unkompliziert einen Kindergartenplatz. Das läuft ähnlich wie in Deutschland bei der ZVS fürs Studium. Wir haben unsere im laufenden Semester auf eine Warteliste gesetzt (man durfte drei Favoriten angeben) und einen Anruf bekommen, sobald es zwei freie Plätze gab. Wir mussten also nur ja oder nein sagen. Das war schon toll, vor allem wenn ich mitbekomme, wie lang und kräftezehrend die Kindergartensuche in Deutschland abläuft.

Die Großeltern helfen aus

Aber natürlich: Wenn Mütter nach vier Monaten wieder arbeiten müssen, braucht es auch ein funktionierendes System. Wenn man es sich als Familie nicht leisten kann, länger zuhause zu bleiben, gibt es zwei Optionen: Die Säuglingsgruppe oder die Großeltern. Man sieht hier wirklich unglaublich viele Großeltern tagtäglich mit ihren Enkeln durch die Stadt spazieren, meine Schwiegermutter inklusive. Das wird hier als etwas ganz normales angesehen – obwohl es für die Yayos und Yayas ganz schön viel Arbeit ist. Dass die Großeltern mal aushelfen, finde ich auch wirklich toll – aber dass sie jeden Tag die Enkel betreuen müssen, weil die Eltern sonst nicht arbeiten gehen können, gefällt mir nicht.

Meine Kinder sind mit etwa 10 Monaten in den Kindergarten gekommen, erstmal nur halbtags. Als Selbstständige konnte ich recht entspannt stufenweise wieder in den Beruf zurück. In der Säuglingsgruppe gab es ein paar ältere und einige jüngere Kinder, sie waren relativ in der Mitte. Für die ganz Kleinen gab es Fläschchen, für unsere Gemüsebrei und ziemlich schnell feste Nahrung. Wer sein Kleines so früh abgeben muss und stillen möchte, steht vor einer Herausforderung. Man darf natürlich abgepumpte Milch mitbringen, aber das bedeutet auch, diese über Tag im Büro oder sonstwo am Arbeitsplatz abzupumpen…da gehört einiges an Ehrgeiz dazu. Zum Glück hatten wir genug Ersparnisse, um uns durch das erste Jahr zu tragen – das war es mir wirklich wert. So viel Zeit mit den Kindern verbringen zu können und sie wachsen zu sehen, ist etwas ganz besonderes.

In ein paar Jahren soll es in Spanien für Väter ebenfalls vier Monate Elternzeit geben – und zwar als Pflicht. Ich hoffe sehr, dass das klappt. Damit wäre auch ein großer Schritt in Richtung Gleichberechtigung getan. Bis dahin sorge ich mit meinen Erzählungen vom Wunderland Deutschland für große Augen: Hebammen, die zu einem nach Hause kommen, Kindergeld weit über das dritte Lebensjahr hinaus – und die vermaledeite Kitasuche!

Zwillinge oder der Verlust der Privatsphäre

Seit der Schwangerschaft haben sich unzählige Menschen in meine und unsere Privatsphäre eingemischt. Es wurde nachgeforscht, ob wir Zwillinge in der Familie haben oder gleich direkt gefragt, ob sie “natürlich” entstanden sind. Die paar Male, an denen mir aufrichtig zu Zwillingen gratuliert wurde, kann ich an einer Hand abzählen – meistens waren das nette ältere Damen, die mir Alles Gute zu dem “doppelten Segen” wünschten und für mich “Gesundheit, um die beiden aufzuziehen”.

Bei einer Zwillingsschwangerschaft gibt es zudem unzählige Arztkontrollen. Ständig mussten wir zur Vorsorge. Bei der Geburt wäre ich fast gestorben und war das Krankenhausgespräch. Wir waren eine Woche im Krankenhaus. Alle drei Stunden platzte eine Schwester herein mit den Milchfläschchen für die Babies. Dazwischen gab es Essen, die Babies wurden zum Baden geholt, ich wurde gewaschen, es gab Arztvisite und Schelte von der strengen Kinderkrankenschwester, wenn die Babies ihre Fläschchen nicht ausgetrunken hatten (obwohl ich ja zusätzlich stillte). Nach fünf Tagen konnte ich das erste Mal aufstehen. Wir hatten zwei Stunden lang eine Zimmernachbarin mit ihrem Neugeborenen, während mir gerade die Katheter gezogen wurden. Es gab Besuch von Menschen, die ich kaum kannte (dank der spanischen Familienverhältnisse) und die mich in einem ziemlich desolaten Zustand sahen. Alle wussten, was bei der Geburt passiert war. Gute Freunde hingegen ließen uns erstmal in Ruhe – aus Respekt, um uns Raum zu geben und anzukommen.

Als wir aus dem Krankenhaus kamen, gab es noch ein paar seltsame Besuche mehr bei uns zu Hause, dann war aber Gottseidank Schluss. Mit hatten schon genug fast fremde Leute beim Stillen zugeschaut. Dafür mussten wir bei jedem Spaziergang unsere Babies bewundern lassen. Ein älterer Herr hielt sogar mal im Vorbeigehen den Kinderwagen fest, um sie in Ruhe betrachten zu können. Manchmal wünsche ich mir, in solchen Moment nicht so perplex gewesen zu sein und schneller reagiert zu haben. Viel zu oft hatte ich Angst davor, eine Szene zu machen. Einmal hat eine Frau in “unserem” Tante Emma-Laden ein Baby aus dem Kinderwagen abgeschnallt und in den Arm genommen, als ich gerade nicht hinsah. Da sie aber auch Stammkundin dort war, habe ich nichts gesagt, sondern ihr das Kind nur wieder aus dem Arm genommen. Noch heute ärgere ich mich darüber, meine Kleine da nicht besser “beschützt” zu haben.

Als die beiden gerade laufen konnten, wollte eine Frau die beiden unbedingt ihrem Mann zeigen. Sie hatte selbst (etwa zehnjährige) Zwillinge. Wir waren in einem Straßencafé und die beiden taperten zwischen den Tischen herum. Schwupps, hatte die Frau mein Kind auf den Arm und rief ihrem Mann zu, “Schau mal wie süß! Unsere waren auch mal so!” Wir hatten Freunde mit einem Einzelkind dabei und die waren ebenso verdattert wie wir. So viel Übergriffigkeit hatten sie bei ihrem Sohn nie erlebt. Sicherlich ist es schon so, dass in Spanien Kinder viel mehr getätschelt und gestreichelt werden, aber mit den beiden war es schon extrem. Und wir waren nach der schwierigen Geburt und als Erstlingseltern überhaupt nicht gewappnet dafür, so viel Aufmerksamkeit zu wecken.

Jetzt sind die beiden fast zwei. Die Standard-Frage “Sind das Zwillinge?” beantworten wir nur noch mit einem müden Nicken und ziehen dann zügig von dannen. Wir erwecken weitaus weniger Aufsehen mit zwei Kleinkindern als mit zwei Neugeborenen und das ist wirklich entspannter. Dafür wird unsere Stillbeziehung jetzt gerne kommentiert (“Ach, stillt ihr immer noch?” oder “Na, bald stillst Du ja bestimmt ab, oder?”). Und es nervt mich schon wieder sehr. Denn es ist für mich immer noch ein großer Unterschied ob ich freiwillig etwas über mich erzähle (wie hier im Blog), oder man mir alles aus der Nase ziehen will. Ein offenes Gespräch kommt so nicht zustande. Nach zwei Jahren kommt es mir immer noch seltsam vor, dass man mit als Schwangere und Eltern von Zwillingen scheinbar Gegenstand öffentlichen Interesses wird. Aber ich nehme mit Erleichterung zur Kenntnis: Es wird besser.

Wie lange willst Du denn noch stillen?

Fast zwei Jahre Stillzeit sind herum und das Stillen hat sich gewandelt: Aus den zwei kleinen Hilflosen Wesen sind zwei selbstständige Persönchen mit einem sehr eigenen Willen geworden. Die Aufregung, das Gehampel und unzählige Versuche, endlich eine gute Position zum Tandemstillen zu finden haben sich in Routine, Geborgenheit und eine verkuschelte Wuselei verwandelt.

Ebenso hat sich die Position meiner Mitmenschen dazu verändert: wurde ich anfangs noch beklatscht (im wahrsten Sinne des Wortes), wird nun immer häufiger gefragt: “Wie lange willst Du denn noch Stillen?”. In den wenigsten Fällen steckt da aber ehrliches Interesse dahinter. Was der Fragende eigentlich sagen will, ist: “Still doch endlich mal ab!”. Und darum beginnt diese Frage mich langsam wirklich zu nerven. Und ich muss aufpassen, dass ich nicht nur aus Trotz weiterstille.

Warum, werte Damen und Herren, ist mein Stillen auf einmal so “interessant”, dass sich so viele Menschen einmischen müssen? Was sollen die hochgezogenen Augenbrauen, wenn ich sage: “Ich weiß nicht, wie lange ich Stillen möchte. So lange es uns gut dabei geht?” Warum fühlte ich mich anfangs verpflichtet zu erklären, dass ich ja eigentlich nur drei Monate Stillen “geplant” hatte, weil ich dachte, mit zweien schaffe ich das vielleicht nicht. Dass dann daraus sechs Monate wurden und dann ein Jahr und es immer einfacher wurde?

Dann versuche ich zu erklären, dass ich glaube, wir werden schon den richtigen Zeitpunkt finden. Wenn es mich anfängt zu nerven. Dass ich darauf vertraue, zu spüren, wann es uns gut tut, die Stillbeziehung zu beenden. “Tja, wenn es Dich nicht stört…musst Du ja wissen” heisst es oft. Genau. Allerdings habe ich das Gefühl, dass es andere stört. Und ich verstehe wirklich nicht warum, für mich ist es etwas so natürliches, selbstverständliches…

Stillgeschichten

Meine spanische Schwiegeroma erzählte mir, ihre Mutter habe sie bei jedem Kind “ermahnt”, weiterzustillen, bis diese zwei Jahre alt waren. “Halte durch”, hieß es, wenn sie jammerte, “das ist das Beste, was Du deinem Kind geben kannst”. Es gibt vor allem im spanischen Bekannten- und Verwandtenkreis mehrere Anekdoten von bereits sprechenden Stillkindern aus verschiedenen Jahrzehnten. Vor meiner deutschen Omi habe ich großen Respekt, dass sie ihre vielen Kinder alle gestillt hat. Das hat bestimmt auch noch mit der damaligen Erziehung zu tun, eine “deutsche Mutter” musste ja schließlich stillen, aber trotzdem: sie hat das gemeistert. In meiner Familie gibt es viele “Langzeitstillende”, von der Tante bis zur Cousine. Persönlich kenne ich wirklich viele Mütter, die mehr als ein Jahr stillen oder gestillt haben. Untereinander stellen wir uns die Frage nie – sondern hören einander zu, wenn es Probleme gibt, wenn die ersten Abstill-Versuche nicht geklappt haben oder wenn es doch mal wieder eine von diesen Nächten gab, an denen gefühlt dauergestillt wurde.

Unsere Stillgeschichte begann denkbar schwer: Noch auf der Intensivstation wurde mir Milch abgepumpt, als mein Mann erklärte, dass ich stillen wollte. Ob das klappen würde, war nicht sicher. Die Babies bekamen zwei Tage lang Fläschchen, bis ich auf dem Zimmer war und sie das erste Mal anlegen konnte. Dank der Hilfe der lieben Hebamme im Krankenhaus und trotz der unsäglichen Einmischungen der brummigen Nachtschwestern haben wir es geschafft. Immer habe ich den Moment im Kopf, als ich die zwei kleinen Wesen endlich kennenlernen durfte. Die Erstgeborene wich seitdem nicht mehr von meiner Seite. Bloß nicht zu weit weg von der Nahrungsquelle!

Nach zwei Monaten war ich schier verzweifelt, weil beide die Flaschenmilch in hohem Bogen wieder ausspuckten. Aus Mund und Nase kam alles wieder raus! Danach gab es Gebrüll und dann wieder die Brust. Ab und zu mal die Flasche geben zu können, wäre sowohl für mich als auch für meinen Mann eine Erleichterung gewesen.

Als die ersten drei Monate herum waren, wurde es einfacher: endlich konnten sie ihre Köpfchen etwas besser halten und rutschten nicht ständig weg. Wir stillten überall, in Cafés, am Strand, auf einer Bank sitzend. Mit sechs Monaten waren wir echte Stillprofis. Dann fing irgendwann die Beikost an und es wurde etwas weniger und unkomplizierter. Es gab Phasen, wo ich dachte, bald hören sie von selber auf.

Mit der Eingewöhnung im Kindergarten änderte sich wieder alles: Nach den langen Stunden ohne Mama wollten sie vor allem eins – Stillen. Das ist noch immer so. Manchmal nervt es mich, vor allem wenn die beiden meinen, sich das Essen sparen zu können. Manchmal hilft es mir aber auch sehr: Wenn sie krank sind, wenn sie zahnen, beim Einschlafen – Stillen ist immer noch die schnellste Einschlafhilfe.

Trotzdem frage ich mich in letzter Zeit immer häufiger: Vielleicht ist es doch gut, bald mal abzustillen? Brauchen die beiden das wirklich noch oder kann ich nur nicht loslassen? Der Gedanke, nie wieder Stillkinder haben zu können, tut mir weh. Aber das möchte ich nicht an den beiden “auslassen”. Sie werden nicht immer meine Babies sein können und sind es mit fast zwei schon längst nicht mehr. Dann gibt es uns wiederum Momente des zur-Ruhe-kommens und der Geborgenheit und ich habe Angst, ihnen das zu nehmen. Den richtigen Zeitpunkt zu finden scheint mir schwieriger als ich dachte.

 

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